Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Barschaft abgeborgt, welche der in freiwilliger Armut und Bedürfnislosigkeit lebende Weltweise gerade besaß. Derselbe gab ihm ein paar Briefe an wohlhabendere Verehrer mit, diese sandten ihn wieder andern Freunden zu, und so zog er seit einem Jahre von Stadt zu Stadt, von einem Landgut zum andern, lebte herrlich und in Freuden und lobte die angebrochene neue Ära. Jetzt war er endlich auch zum Grafen Dietrich gekommen, der schon von ihm wissen mochte. Als er mit dem neuen Gaste zu Tisch kam, war er schon ein wenig ermüdet von dessen lauten Gesprächen und Ausrufungen; der Gast aber, indem er den Löffel in die gute Suppe tauchte, rief und sprudelte über dicke Lippen hinaus: »Es ist eine Freude zu leben!«
In mir witterte er augenblicklich einen Schützling und Mitgast des Hauses, machte sich nach dem Essen an mich und zwang mich, ihn auf das ihm bestimmte Zimmer zu begleiten; unter tausend Fragen begann er sich einzurichten und seinen Sack auszupacken, der ihm als Reisekoffer diente.
Neben einer Anzahl verschiedener Kleidungsstücke, von denen keines zum andern recht paßte, kamen die wunderlichsten Habseligkeiten zum Vorschein, und auf jedes Stück legte er einen Affektionswert. Jeden Band in ein besonderes Tüchlein gewickelt, förderte er die in rotes Leder gebundenen Werke des Meisters zutage und stellte sie feierlich auf den Schreibtisch, der im Zimmer war. Dann zog er ein dickes Stück von ungebleichtem Zwillich, viele Ellen, heraus, wovon er sich im Sommer eine deutsche Turnerkleidung dachte anfertigen zu lassen. Hierauf kamen andere Bücher; hierauf rollten einige Metzen schöne Borsdorfer Apfel hervor, von einer schönen Gutsfrau geschenkt, wie er sagte; sodann folgte ein Stück Pökelfleisch, in Papier gewickelt; hierauf eine blaue zusammengelegte Steppdecke, zwischen welcher ein Bund Strickgarn lag zu neuen Strümpfen. Beim Anblick aller dieser Dinge mußte man ihm lassen, daß er die Vorsehung Gottes leidlich zu ersetzen und an alles zu denken verstehe, dessen er etwa bedürftig werden könnte. Nachdem er noch einiges aus der Tiefe des Sackes hervorgeholt, unter anderm eine kleine Schwarzwälderuhr, kroch er mit dem Kopfe hinein und zog aus dem untersten Grunde einen zusammengerollten rotblumigen Hausrock hervor.
Denselben entfaltend, enthüllte er eine mäßige Schachtel, in welcher das Modell eines Auges von der Größe eines Kindskopfes gebettet lag.
Gilgus öffnete die Schachtel und nahm das Auge sorgfältig heraus, um zu sehen, ob es nicht Schaden gelitten. Es war von Wachs und Glas angefertigt und konnte zerlegt werden, um zu Unterrichtszwecken den Bau des menschlichen Auges vorzuweisen. Bei seinem Auszug hatte er das Auge aus der kleinen Naturaliensammlung seiner Schule mitlaufen lassen, und es liefen deshalb überall kleine amtliche Verfolgungen hinter ihm drein, sooft sein Aufenthalt ausgemittelt wurde; allein er gab es nicht wieder her.
Jetzt blies er den Staub davon, setzte es feierlich auf den Schreibtisch und rief: »Das ist das wahre Auge Gottes!«
Dieses Auge Gottes hatte natürlich nur die allergröbste Einrichtung, und Gilgussens Kenntnis ging über dieselbe nicht hinaus; dennoch mußte sie ihm dazu dienen, seine Freudenbotschaft mit dem Mantel der Naturwissenschaften zu schmücken, und er führte das Auge gleichsam als Wahrzeichen mit sich für jene Erscheinung im großen, wenn die gedachten Wissenschaften beim Beginn einer neuen Reihe von Entdeckungen dem Unendlichen jedesmal zuschreien: Holla! Wir wissen jetzt, wie's gemacht wird!
Außerdem diente ihm das Auge noch als Geheimarchiv und Schatzkammer.
Er öffnete den Apfel und leerte den hohlen Innenraum, dessen Inhalt vom Fahren durcheinandergerüttelt worden. Aus einer großen Flocke Baumwolle wickelte er eine goldene Busennadel, ein silbernes Uhrkettchen, ein paar Fingerringe und zeigte mir diese Schätze mit Wohlgefallen. Auf ein Bündelchen Rechnungen, ein Punschrezept, ein Bündelchen Liebesbriefe, die er von den Stubenmädchen seiner Gastfreunde erhalten, wies er mehr andeutend hin, wogegen er ein Lotterie los mit ernster Miene entfaltete, wie wenn es eine Staatsobligation wäre, und es standen allerdings mehrere Hunderttausende in großen und kleinen Posten darauf gedruckt; eine kleine, in Papier eingeschlagene Barschaft bezeichnete er als Reservefonds, welchen er unter keinen Umständen angreife und deshalb hier aufbewahre. Ein vertrocknetes Blumensträußchen ergänzte die Sammlung und knüpfte versöhnend an das
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