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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Stündlein beistehen werden, so müssen Sie ihn überzeugen, daß der Sack unschicklich und verdächtig sei, und wie zufällig die Koffer herbeischaffen. Es könnte sich nämlich ereignen, daß er störrisch wäre und sie nicht wollte, und doch mag der Vater ihn nicht mit dem Kornsacke aus seinem Hause abreisen sehen.«
    Ich befürchtete zwar nicht, daß Gilgus die Koffer zurückweise, versprach aber, mein Bestes zu tun. Sie aber sagte: »Nun schau ich noch ein wenig zu, wenn es erlaubt ist!« schlug die Arme ineinander und saß eine Viertelstunde neben mir, ohne daß sie oder ich etwas dazu sprach.
    Als ich endlich einen mißlungenen Stein, der im Vordergrunde meines Bildes lag, mit der Spachtel wegräumte, sagte sie »Hopsa! Weg damit!« Dann erhob sie sich, dankte mir für geneigte Audienz und zog sich zurück, indem sie mir zugleich empfahl, mich vor Tisch sehen zu lassen, um zu erfahren, wie es gehe in der bewußten Sache.
    Es ging auch ohne Schwierigkeit alles vonstatten, wie man wünschte; Gilgus fuhr ganz still und weichmütig mit wohlbepacktem Gefährte von hinnen, nach der nächsten Posthalterei, um von dort am frühen Morgen weiterzureisen. Als der Kaplan abends zum Tee erschien, fand er es so still und friedlich, wie wenn eine Mühle abgestanden wäre. Er hatte in der letzten Zeit zuweilen einen der älteren deutschen Mystiker mitgebracht, in der Absicht, das grundtiefe und kühne Wesen solcher Geister dem neuesten Geiste gegenüberzustellen, der ebenso tiefgehend und kühn war selbst in der verzerrten Darstellung durch Gilgus, und da es ihm hauptsächlich um das Phantasienährende und Parabolische zu tun war, dem er nachjagte, so gab es manche Ausbeute bald zu seinen Gunsten, bald zugunsten der andern. Für heute hatte er des Angelus Silesius Cherubinischen Wandersmann aufgegriffen und bedauerte, daß Gilgus nicht mehr da war, da er denselben durch den Vortrag der wunderlichen Reime zugleich zu reizen und zu bannen, uns aber in spaßhafte Verlegenheit zu setzen hoffte.
    Wir baten ihn, dennoch vorzulesen, und die kleine Gesellschaft empfand die größte Freude über den vehementen Gottesschauer, seine lebendige Sprache und poetische Glut. Das wollte ihm aber auch nicht recht passen; er begann immer eifriger und nachdrücklicher zu lesen, und mit jeder Seite, die er umschlug, erhöhte sich die Teilnahme an der munteren Geisteserscheinung, bis er das Büchlein halb ärgerlich und ermüdet weglegte.
    Nun nahm es der Graf in die Hand, blätterte darin und sagte dann: »Es ist ein recht wesentliches und charaktervolles Büchlein! Wie richtig und trefflich fängt es gleich an mit dem Reimpaar:
    ›Rein wie das feinste Gold, steif wie ein Felsenstein, Ganz lauter wie Kristall soll dein Gemüte sein.‹

    Kann man treffender die Grundlage aller solcher Übungen und Denkarten, seien sie bejahend oder verneinend, und den Wert bezeichnen, den man von vornherein hinzubringen muß, wenn die ganze Sache erheblich sein soll?
    Wenn wir uns aber weiter umsehen, so finden wir mit Vergnügen, wie die Extreme sich berühren und im Umwenden eines in das andere umschlagen kann. Glaubt man nicht, unsern Ludwig Feuerbach zu hören, wenn wir die Verse lesen:

    ›Ich bin so groß als Gott, Er ist als ich so klein, Er kann nicht über mich, ich unter Ihm nicht sein‹ –?

    Ferner:

    ›Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nun kann leben, Werd ich zunicht, Er muß vor Not den Geist aufgeben.‹

    Auch dies:

    ›Daß Gott so selig ist und lebet ohn Verlangen, Hat Er sowohl von mir als ich von Ihm empfangen.‹

    Oder:

    ›Ich bin so reich als Gott, es kann kein Stäublein sein, Das ich (Mensch, glaube mir) mit Ihm nicht hab gemein.‹

    Und nun gar:

    ›Was man von Gott gesagt, das g'nüget mir noch nicht; Die Über-Gottheit ist mein Leben und mein Licht.‹

    › – Wo soll ich dann nun hin?
    Ich muß noch über Gott in eine Wüsten ziehn.‹

    Und wie einfach wahr findet man das Wesen der Zeit besungen in diesem Sinngedichtchen:

    ›Man muß sich überschwenken

    Mensch! wo du deinen Geist schwingst über Ort und Zeit, So kannst du jeden Blick sein in der Ewigkeit.‹

    Dann:

    ›Der Mensch, ist Ewigkeit
    Ich selbst bin Ewigkeit, wann ich die Zeit verlasse Und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse.‹

    Und:

    ›Die Zeit ist Ewigkeit
    Zeit ist wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit, So du nur selber nicht machst einen Unterscheid.‹

    Alles dies macht beinahe vollständig den Eindruck, als ob der gute Angelus nur

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