Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
zusammengeschnürt war, so daß sich auf dem Haupte nur ein niedriges Faltenkrönlein hatte bilden können. Diesen Sack hielt der Insasse des Fuhrwerkes mit der einen Hand aufrecht, vor allem besorgt, daß er mit Vorsicht abgeladen würde. Als das geschehen, sprang er gleich nach und blieb bei dem Sacke stehen, denselben aufrecht haltend, weil er ihn um keinen Preis auf die etwas feuchte Erde wollte fallen lassen. Das machte ihm den nun folgenden Wortwechsel mit dem Fuhrmann schwierig zu führen, der sich wegen der Bezahlung des Fahrgeldes nicht wollte aufhalten lassen, während der Reisende sowohl die Höhe des geforderten Lohnes bestritt als einen Aufschub verlangte, bis er seine Briefe abgegeben und seine Ankunft auf dem Grafensitze gehörig ausgeführt habe. Mit sprudelndem Munde, immer neben der Pfeife redend, suchte er sich mit dem Fahrknechte zu verständigen, sah sich aber stets in den nötigen Gebärden und im Hervorsuchen der Briefe gehindert, weil der Sack umfallen wollte, wenn er ihn losließ. Endlich kam ein Hausdiener herbei, der nach seinen Angelegenheiten fragte.
»Dies ist mein Gepäcke, guter Freund!« sagte der Mann, »halten Sie's ein wenig, damit ich meine Empfehlungsbriefe an den Herren Grafen finden kann, den ich herbeizurufen bitte!«
Der Diener hielt den Sack, der Reisende holte ein paar Briefe aus einer dicken Brieftasche und gab sie dem Diener, worauf dieser ins Haus ging und jener den Sack wieder selbst hielt. Nach einiger Zeit erschien der Graf mit einem der Briefe in der Hand, um nach dem Ankömmling zu sehen. Dieser streckte ihm, an seiner Sacksäule stehend, die freie Hand entgegen und rief: »Ich grüße Sie, edler Mann und Genosse! Ist es nicht eine Freude zu leben, mit Hutten zu reden?«
»Habe ich die Ehre, Herrn Peter Gilgus zu sehen, der mir hier von den Freunden empfohlen wird?« antwortete Graf Dietrich »Der bin ich! Ist es nicht eine Freude zu leben?«
»Gewiß! Aber machen Sie es sich doch etwas bequemer! Wollen Sie Ihr Gepäcke nicht abgeben und ins Haus treten?«
»Ich kann nicht, bevor ich ein Wort mit Ihnen gesprochen!«
Der Graf näherte sich dem Manne, der ihm eine vertrauliche Mitteilung machte, worauf jener dem Fuhrmann bedeutete, daß er werde zufriedengestellt werden und mit seinem Fahrzeuge nur vorerst nach den Wirtschaftsgebäuden gehen und samt dem Pferde etwas zu sich nehmen möge.
Hierauf wurde der Sack wohlbehalten von zwei Leuten in das Haus getragen und der Fremde vom Grafen auf sein Zimmer genommen, wo er weitere Rücksprache mit demselben pflag.
Herr Peter Gilgus war ein im mittlern Deutschland weggelaufener Schullehrer und ein Apostel des Atheismus, der im wörtlichen Sinne ausgezogen war, die Welt zu sehen und zu genießen, nachdem der liebe Gott aus derselben weggeschickt worden. Dies Ereignis hielt er für einen unberechenbaren Glücksfall, und er rief unaufhörlich, wo er hinkam: »Es ist eine Freude zu leben!« als ob die Welt in der Tat von ihrem größten Feinde und Bedrücker soeben befreit worden wäre, seit er die Werke des Philosophen gelesen. Er betrug sich demgemäß, wie wenn es fortwährend Sonntag und der Braten am Spieße wäre, oder wie die Bevölkerung eines kleinen Herzogtums, dessen Tyrann entflohen, oder wie ein Nest voll Mäuse, wenn die Katz aus dem Hause ist.
Als Schulmeister mochte er von der Geistlichkeit freilich arg gedrückt worden sein; allein er freute sich über die Vertreibung Gottes doch mehr als billig. Immer von neuem erstaunte er über die Herrlichkeit des Gedankens, von dem unseligen Begriffe frei und jeder größeren oder kleineren Abhängigkeit von demselben ledig zu sein. Immer wieder ballte er die Faust gegen die ganze lange Vergangenheit voll anthropomorphischer Götter; aufs neue bestieg er jeden kleinen Hügel, reckte die Hand aus und pries die Schönheit der grünen Welt, jubelte über die wolkenlose tiefe Bläue des entgötterten Himmels und trank bäuchlings liegend aus Quellen und Bächen, welche noch nie so reines und frisches Wasser geliefert hätten wie jetzt. Das hinderte ihn jedoch nicht, sobald eine anhaltende Kälte oder ein langes Regenwetter eintrat, sehr ungehalten zu werden und einen persönlichen Groll mit altherkömmlichen Fluchworten zu äußern, wie man sie nur gegen persönlich existierende Urheber von widerwärtigen Wirkungen braucht.
Nach seinem Auszuge hatte er zuerst das Haupt der Schule, den Philosophen, aufgesucht, acht Tage lang verehrt und ihm zur Weiterreise die geringe
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