Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
menschlich Liebenswürdige an.
Alles das war in dem Auge, und er legte das Gefüllsel nun in die leere Schachtel und verschloß diese in einer Schublade; denn er dachte das anatomische Modell in den bevorstehenden lehrreichen Gesprächen zum Vorschein zu bringen.
Gleich am ersten Abend, als der Kaplan zur Gesellschaft kam, nahm er diesen zum Zielpunkt seines apostolischen Eifers, und es entstand ein gewaltiger Lärm, bis der Geistliche die Karikatur in dem Ankömmling erkannte, plötzlich mit vergnügtem Augenblinzeln seine Fechtart veränderte und dem lärmenden, mit blasphemischen Kühnheiten um sich werfenden Peter Gilgus zu schmeicheln begann. Er schätze sich glücklich, sagte er, eine so ausgesprochene und in ihrer Art vollkommene Erscheinung begrüßen und studieren zu können; alles absolut Entgegengesetzte müsse sich stärker anziehen als das Halbe und sich schließlich in einem höhern Elemente vereinigen. Ein leidenschaftlicher Liebhaber Gottes und ein leidenschaftlicher Leugner Gottes zögen im Grunde an demselben Wagen, von dem der eine sowenig loskommen könne als der andere, und so biete er ihm als treuer Gefährte seine Freundschaft an. Eine so fleißige und beharrliche Gottesleugnerei sei eigentlich nur eine andere Art von versteckter Gottesfurcht, wie es in den ersten Zeiten Heilige gegeben habe, welche den Schein großer Lasterhaftigkeit zur Schau trugen, um in der Verachtung um so ungestörter der göttlichen Inbrunst sich hinzugeben.
Der verdutzte Gilgus wußte nicht, wie ihm geschah, und suchte sich mit sprudelnder Ungebärdigkeit zu helfen; doch der fröhliche Kaplan umwickelte ihn so dicht mit hundert zärtlichen Späßchen, tröstete ihn, der Herrgott habe schon längst ein Auge auf ihn und es werde noch alles gut werden, daß er sich doch gewissermaßen geschmeichelt fühlte und sich auf den nächsten Tag zu einem guten Pfarrfrühstück bei dem Kaplan einladen ließ. Dort lieferten sie sich zuerst wieder eine Wortschlacht; dann zechten sie und schlossen Freundschaft, zogen miteinander über Feld und in den Wirtshäusern herum, wo der Kaplan immer neue Späße mit seinem Freunde anstellte; denn er blieb immer bei Sinnen und boshaft, während Gilgus den Verstand verlor, sobald er angetrunken war, und über die Größe seines Schicksals, über die Feierlichkeit der Zeit, wo es eine Freude zu leben sei, jämmerlich zu weinen begann. Wenn der Kaplan ihn in solcher Verfassung abends oder mittags ins Schloß bringen konnte, so erreichte sein Vergnügen den höchsten Gipfel. Der Graf lächelte bald heiter, bald verdrießlich, Dorothea dagegen lachte voll neugieriger Lustbarkeit, da sie dergleichen noch nie gesehen, besonders wenn Gilgus vor ihr auf die Knie fiel und weinend den Saum ihres Gewandes küßte; denn er hatte die Gärtnerstochter, mit der er zuerst schöngetan, sogleich stehenlassen, als er vernahm, daß Dortchen keine Gräfin und eine starkgeistige, freigesinnte Person sei, und offenbar hielt er sie vorläufig für dazu bestimmt, die Freude am großen Weltaugenblick und am Leben mit ihm zu teilen.
War er dann nach manchem Auftritte derart wieder nüchtern geworden, so verfiel er in tiefsinnige Trauer, und um die Scharte auszuwetzen, beging er allerhand Kraftstücke. Trotz der kühlen Jahreszeit stürzte er sich badend in Teiche und Mühlbäche, so daß man in der Nähe oder Ferne unvermutet seine nackte Gestalt auf-und untertauchen sah. Mit blauem Gesicht und nassen Haaren stellte er sich dann als neu-und wiedergeboren vor, und der Kaplan sowohl als Dortchen und selbst das mutwillige Röschen fanden ihre tägliche Belustigung an seinem Treiben. Der Kaplan wußte bereits, daß die Bauern davon sprachen, den heidnischen Wassermann einmal aufzufischen und mit Haberstroh trockenzubürsten, und auch hierauf freute er sich im voraus.
Ich aber wurde durch den ganzen Vorgang nicht nur veranlaßt, die eigene Streitlust zu mäßigen, ja sogar mich stillzuhalten, sondern ich fühlte mich beschämt, neben dem sonderbaren Gesellen als ein kaum minder abenteuerlicher Gast dazustehen. Vollends die Art, wie jener sein Auge auf die Schönheit des Hauses geworfen, erinnerte mich daran, daß ich selbst ja das gleiche getan und noch tue, wenn ich auch noch nichts verraten oder zu verraten bis zur Stunde willens gewesen sei. Und das holde Gelächter, welches Dorothea in allen Züchten öfter hören ließ, verdiente ich ja selbst schon in meinem innersten Herzen. Wenn ich aufrichtig gegen mich sein
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