Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
zwei gesunde Landmädchen durch den sonntäglichen Wald gingen. Natürlich waren es von den wehmütigen Liebesgeschichten, die sie eine nach der anderen anstimmten und andächtig zu Ende führten, ohne daß Dortchen meinen Arm fahrenließ, bis ein rötlicher Glanz uns anzeigte, daß einige Sträucher der gesuchten Pflanze in der Nähe waren; denn die sinkende Sonne streifte durch die Buchenstämme und traf die blühenden Zweige der Daphneen, wie Dortchen sie mit dem botanischen Titel nannte, der mir unbekannt gewesen. Sie jauchzte fröhlich auf, und beide Mädchen liefen sogleich hin, von den narkotisch duftenden Zweigen die schönsten zu brechen, während ich mich auf den Stamm eines gefällten Baumes setzte und ihnen zuschaute, mit Wohlgefallen jeder ihrer Bewegungen mit den Augen folgend.
    Als sie ihre Ernte gehalten, ging Röschen weiter, noch mehr Sträucher aufsuchend, und das Mädchen verlor sich allmählich hinter den Bäumen.
    Dorothea hingegen kam und ließ sich bei mir nieder, indem sie mir ihren Blütenstrauß unter die Nase hielt.
    »Ist es nun nicht hübsch hier«, sagte sie, »und sind Sie nicht froh, daß wir Sie aus Ihrem Schlupfwinkel geholt haben?«
    »Ich wollte an meine Mutter schreiben«, antwortete ich.
    »Haben Sie ihr denn nicht schon früher auf den heutigen Tag einen Neujahrsbrief geschickt?«
    »Ich habe ihr noch nicht geschrieben, seit ich hier bin; sie weiß gar nicht, wo ich lebe!«
    »Sie weiß es gar nicht? Wie können Sie so was tun?«
    Ich blickte seitwärts und kratzte mit den Fingern ein kleines Moosgärtlein weg, das auf der silbergrauen Rinde des Stammes saß. Dann sagte ich, daß ich einen so langen Aufenthalt nicht vorhergesehen und endlich gedacht hätte, die Mutter um so froher zu überraschen, wenn ich schließlich selber käme.
    »Das muß ich sagen«, rief sie, »morgen müssen Sie aber schreiben, ich leid es nicht länger! Wer ein solches Mütterchen hat, sollte seinem Schöpfer danken! Wissen Sie, daß Ihr Buch aussieht wie ein Herbarium? Überall, wo mir etwas Freude machte oder wo ich Ihnen gern die Leviten gelesen hätte, legte ich ein grünes Blatt oder Gras hinein. Es liegt in meinem Sekretär eingeschlossen. Mehr als einmal, wenn ich von Ihrer Mutter las, dachte ich: Könntest du doch bei einem solchen Mütterchen mit unterkriechen, die du keines gekannt hast! Aber morgen wird geschrieben! Sie müssen auf meinem Zimmer schreiben, und ich geh Ihnen nicht von der Seite, bis der Brief fertig und zugemacht ist, und wenn Sie folgsam sind, so schreib ich selbst noch einen Gruß mit hinein!«
    »Das wird doch nicht wohl angehen!« sagte ich.
    »Warum denn nicht? O gefrorner Christ! Warum denn nicht? Darf ich Ihre Mutter nicht grüßen? Und wollen Sie nicht schreiben?«
    Statt zu antworten, arbeitete ich fleißig weiter an der Ausreutung des Moosfleckes; denn das eiserne Abbild Dortchens drehte sich in meinem Herzen um, während ich neben dem Urbilde saß, was es sonst nie tat, und es war, als ob es mit furchtbarem Druck der schweren Eisenhände sich gegen die Wände seiner dunklen Behausung stemmte. Indessen ergriff sie meine Hand und wiederholte mit leiserer Stimme: »Warum wollen Sie nicht? Oder soll ich für Sie schreiben, gleichsam in Ihrem Auftrage? Nein, das geht auch nicht! Aber diktieren will ich Ihnen, was ich denke, daß es der Mutter Vergnügen macht, und Sie brauchen bloß nachzuschreiben! Nun?«
    Eh ich aber antworten konnte, war Röschen mit einer ganzen Schürze voll Märzglöckchen herbeigesprungen, die sie gefunden, und es war Zeit, zum Schlosse zurückzugehen. Dortchen ließ das Gespräch fallen. Sie nahm auf dem Rückwege meinen Arm nicht wieder, ging aber dicht neben mir her. Plötzlich sagte sie:
    »Röschen, leih mir deine Jacke, wenn du sie nicht brauchst!
    Es fängt doch an, mich zu frösteln!«
    Röschen reichte ihr das Kleidungsstück; es fand sich aber, daß es für den höhern Wuchs der Dorothea zu klein und eng war, so daß sie es nicht anziehen konnte.
    »Wollen Sie sich nicht meines Rockes bedienen?« sagte ich mit unbeholfenem Scherze, und sie antwortete: »Nein, in Ihrer Haut mag ich nicht stecken, Sie kalter Fisch!«
    Ins Schloß zurückgekehrt, hatte sie dem Tee vorzustehen, der noch eingenommen wurde, und nachher der Verabschiedung der einzelnen Gäste beizuwohnen. Als ich mit dem Grafen und dem Kaplane noch bei einem Glase Punsch zusammensitzen mußte, kam sie, gute Nacht zu wünschen. Sie legte dem erstern den Arm um die Schultern

Weitere Kostenlose Bücher