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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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laut vor mich hin, als ich unter Bäumen einsam hockte und über das Land wegblickte.
    »Habe ich nur ein Stück Brot weniger gegessen, als Anna krank war? Nein!
    Habe ich eine Träne vergossen, als sie starb? Nein! Und doch tat ich so schön mit meinen Gefühlen! Ich schwur, der Toten ewig treu zu sein; dieser Lebendigen aber Treue zu schwören wäre mir nicht einmal möglich, da sich das ja von selbst versteht und ich mir nichts anderes denken kann! Wenn diese schwer erkranken oder gar sterben sollte, würde ich dann imstande sein, dem Ereignis so aufmerksam zuzusehen und es gar zu beschreiben? O nein, ich fühle, es würde mich brechen und die Welt verfinstern! Und welch ein praktischer Kerl bin ich dennoch gewesen, als ich so platonisch, so ganz nach dem Schema liebte und ein grüner Junge war! Wie unverschämt hab ich da geküßt, die Kleine und die Große, zum Morgen-und Abendbrot! Und jetzt, da ich so manches Jahr älter bin und ein Stück Welt gesehen habe, wird es mir schon bang, wenn ich nur daran denke, diese schöne und gute Person zu unbestimmter Zeit irgendeinmal küssen zu dürfen!«
    Dann starrte ich wieder in die Luft hinaus; doch kaum waren einige Minuten vergangen, während welcher ich neugierig eine Wolke oder einen Gegenstand am Horizont oder ein schwankendes Reis zu meinen Füßen betrachtete, so kehrten die Gedanken wieder zu ihrer alten Last zurück; denn das eiserne Bild erlaubte nicht, daß sie länger anderswo spazierengingen. Als ich eines Abends einen steilen Klippenpfad hinunterstieg, trat ich in der traurigen Zerstreutheit fehl und torkelte wie ein Sinnloser über die Felsen, daß ich nicht wußte, wie ich unten ankam, und mich zu meiner Kränkung und Beschämung ziemlich verletzte. Ein anderes Mal saß ich im Feld auf einem verlassenen Pfluge, der in der abgebrochenen Ackerfurche stand, und machte wohl ein sehr betrübt dummes Gesicht; denn ein vergnügt grinsender Feldlümmel, der mit einem irdenen Selterskrüglein, das ihm am Rücken hing, dahergeschlenkert kam, stand vor mir still, gaffte mich an und begann endlich unbändig zu lachen, indem er sich mit dem Ärmel über Mund und Nase fuhr.
    Schon das arme Krüglein tat mir in den Augen weh, da es so stillvergnügt und unverschämt von der Schulter dieses Burschen baumelte, der wahrscheinlich seinen Vespertrunk darin mitgeführt hatte. Wie konnte man ein solches Krügelchen herumtragen, als ob es kein Dortchen in der Welt gäbe?
    Da der grobe Gesell nicht aufhörte, dazustehen und mir ins Gesicht zu lachen, stand ich auf, trat weinerlich und leidvoll auf ihn zu und schlug ihn dergestalt hinter das Ohr, daß der arme Kerl zur Seite taumelte; und eh er sich wieder fassen konnte, prügelte ich all das Weh auf den fremden Rücken und zerschlug auch seinen Krug, daß mir die Hand blutete, bis der Feldlümmel, welcher glaubte, der Teufel sei hinter ihm her, sich aus dem Staube machte und erst aus einiger Entfernung anfing, mit Steinen nach mir zu werfen. Nach dieser humanen Heldentat ging ich langsam davon, schüttelte den Kopf und seufzte über soviel Herzeleid, das in der Welt sei!
    Von solcher Aufführung selbst angegriffen, dachte ich nicht, mich daran aufzureiben, sondern suchte den Weg, mich aus dem Irrsal zu befreien. Ich musterte und verglich alle Umstände, um feststellen zu können, daß ich nicht der Mensch sei, eine Neigung wie diejenige Dortchens erwecken zu können.
    Was dem einen recht, ist dem andern billig! und: Wie du mir, so ich dir!
    sind zwei goldene Sprüche auch in Liebeshändeln, wenigstens für sonst verständige Menschen, und die beste Kur für ein krankes Herz ist die unzweifelhafte Gewißheit, daß sein Leiden nicht geteilt wird. Nur eigensinnige und selbstsüchtige Verfassungen laufen Gefahr, sich aufzulösen, wenn sie von denen nicht geliebt werden, die ihnen gefallen. Aber was hätte sein können und nicht geworden ist, macht unglücklich, und der Trost hilft nicht, daß die Welt weit sei und hinter dem Berge auch noch Leute wohnen; nur das Gegenwärtige, was man kennt, ist heilig und tröstlich.
    Nachdem ich nun ausgemacht hatte, daß Dortchen nicht an mich denke, ward ich etwas ruhiger und begann zu ratschlagen, ob ich zum Danke für ihre Liebenswürdigkeit ihr die Sache entdecken wolle oder nicht. Ich gedachte im ersten Falle, gelegentlich, eh ich abreiste, ihr lachend und manierlich zu gestehen, welchen Rumor sie mir angerichtet, und sie zugleich zu bitten, sich nicht darum zu kümmern; denn nun sei alles

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