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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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und sagte scherzhaft weinerlich: »So eine Adoptivtochter fahrt doch ein elendes Leben! Nicht einmal ihrem Vater darf sie einen Kuß geben, wenn sie zu Bett geht!«
    »Was fällt dir ein, du Närrchen?« sagte der Graf lachend; »das geht allerdings nicht und würde sich nicht schicken!«
    Hier wendete sich das Eisen wieder in meinem Herzen und drückte mich jämmerlich die ganze Nacht. Dazu fing es an, mir den Hals zuzuschnüren, und ich konnte nicht anders Luft bekommen als durch den Ausbruch einer Tränenflut und erbärmlichen Schluchzens, zum ersten Mal in meinem Leben wegen Liebessachen. Der Unwillen über diese Schwachheit vermehrte das Übel, so wie auch die unliebsame Entdeckung, daß durch die wahre Leidenschaft, als welche ich die Geschichte ansah, die Freiheit der Person und jede vernünftige Selbstbestimmung verlorengehe, mich elend machte.
    Als es endlich Tag wurde, war der falsche Lenz vorüber, und es fiel ein mit Schnee vermischter Regen. Dortchen sagte, als ich im Schlosse erschien, nichts mehr vom Schreiben, und ich selbst vermochte erst recht nicht, mich daranzumachen. Eine abermalige neue Erfahrung war der Widerwillen gegen das Essen, welchen aus solchen Ursachen zu empfinden ich nie für möglich gehalten hätte. Denselben zu verbergen, damit er nicht auffiel und weil er ein trübseliges Aussehen mit sich brachte, kostete die größte Mühe, und alles das in einem Alter, wo ich doch auch kein Konfirmand mehr war. Auch bedauerte ich, diese schöne brotsparende Leidenschaft nicht zur Zeit meiner Hungersnot besessen zu haben, wo sie mir die besten Dienste geleistet hätte. Diese realökonomische Observation hinwieder nicht der Dorothea zu ihrer Belustigung mitteilen zu dürfen, drückte mir fast das Herz ab.
    Dortchen dagegen schien nicht übel aufgelegt und sogar mit jedem Tage besser, ohne sich stark um mich zu kümmern. Sie machte Geldstücke wie Kreisel über den Tisch tanzen, brachte Kinder herbei und setzte ihnen Papiermützen auf die Köpfe, ließ auf dem Hofe Hunde apportieren, und was dergleichen unschuldige Schwänke mehr waren, und alles dünkte mich unergründlich merkwürdig, reizvoll und bestrickte mich. Alle die kleinen Teufeleien verrieten täglich heller eine ursprüngliche Anmut und Beweglichkeit des Gemütes und zeigten mit federleichten Wendungen, daß sie tausend Nücken unter den Locken sitzen hatte. Wenn nun erst die offene, klare Herzensgüte, was man so die Holdseligkeit am Weibe nennt, uns gewinnt, so bringt uns nachher, wenn wir in unserer Einfalt entdecken, daß die Geliebte nicht nur schön und gut, sondern auch gescheit und beweglich ist, die fröhliche Kinderbosheit des Herzens vollends um Ruhe und Verstand; und so ging auch mir ein neues Licht auf, und es befiel mich ein heftiger Schreck, nun gewiß nie wieder ruhig zu werden, da ich gerade dies kurzweilige Frauenleben niemals mein nennen könne. Denn wenn die Liebe nicht nur schön und tief, sondern auch recht eigentlich kurzweilig ist, so erneut sie sich selbst in jedem Augenblick das bißchen Leben hindurch und verdoppelt den Wert desselben, und nichts macht trauriger, als ein solches Leben möglich zu sehen, ohne es zu gewinnen; ja die allertraurigsten Leute sind die, welche glauben, das Zeug dazu zu haben, recht lustig zu sein, und dennoch traurig sein müssen aus Mangel an guter Gesellschaft. So dachte und fühlte ich damals, weil ich nicht wußte, daß es wichtigere und dauerhaftere Dinge in der Welt gibt als jene jugendliche Kurzweil.
    Da das schöne Wesen mir mit jedem Tage anders und unbegreiflicher erschien, obgleich sie immer dieselbe war, so verlor ich zuletzt alle Unbefangenheit des Verkehrs, und um die Heilung meiner Krankheit zu versuchen, zog ich mich wie ein Einsiedler in die Wildnis zurück; d.h. unter dem Vorgeben, die Gegend, Land und Leute recht anzusehen, fing ich an, bei jeder Witterung, gut oder schlecht, den Tag im Freien zuzubringen. Ich hielt mich aber meist auf den waldigen Höhen auf, unter alten Tannenbeständen oder in verlassenen Köhlerhütten, ohne menschliche Gesellschaft, was schon aus dem Grunde gut war, weil ich, immer nur mit dem einen Gegenstande beschäftigt und die Herrschaft über mich selbst vergessend, laut zu denken und zu sprechen begann, besonders mit der Klage über den schmählichen Druck, der mir wie eine fremde Krankheit angeworfen war und den ich hundertmal mit der Hand wegzuwischen suchte.
    »Ist diese Teufelei also die wirkliche Liebe?« sagte ich eines Tages

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