Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Republik Menschen gab, die dieses Wort zu einer hohlen Phrase machten und damit umherzogen, wie die Dirnen, die zum Jahrmarkt gehen, etwa ein leeres Körbchen am Arme tragen. Andere betrachteten die Begriffe Republik, Freiheit und Vaterland als drei Ziegen, die sie unablässig melkten, um aus der Milch allerhand kleine Ziegenkäslein zu machen, während sie scheinheilig die Worte gebrauchten, genau wie die Pharisäer und Tartüffe.
Andere wiederum, als Knechte ihrer eigenen Leidenschaften, witterten überall nichts als Knechtschaft und Verrat, gleich einem armen Hunde, dem man die Nase mit Quarkkäse verstrichen hat und der deshalb die ganze Welt für einen solchen hält. Auch dies Knechtschaftswittern hatte einen gewissen kleinen Verkehrswert, doch stand das patriotische Eigenlob immerhin noch höher.
Alles zusammen war ein schädlicher Schimmel, der ein Gemeinwesen zerstören kann, wenn er zu dicht wuchert; doch befand sich die Hauptschar in gesundem Zustande, und sobald sie sich ernstlich rührte, stäubte der Schimmel von selbst hinweg. Ich dagegen sah in meiner kranken Stimmung den Schaden des Unechten zehnmal größer, als er war, und schwieg dennoch, anstatt den falschen Schwätzern auf die Füße zu treten; damit verschwieg ich auch manches, was ich mit wirklichem Nutzen hätte sagen können. Ich fühlte, daß das kein Leben hieß und so nicht fortgehen könne, und begann darüber zu brüten, wie aus dieser neuen Gefangenschaft des Geistes herauszukommen sei.
Zuweilen regte sich, und immer vernehmlicher, der Wunsch, gar nicht mehr dazusein.
Eines Tages hatte ich mehrere Stunden auf den Straßen meines Verwaltungsbezirkes zugebracht, um in Begleitung des Baumeisters den Zustand derselben zu untersuchen. Nach verrichtetem Geschäfte trennte ich mich von dem Manne, da ich das Verlangen spürte, noch einen Gang in Einsamkeit zu machen. So gelangte ich in ein enges abgeschiedenes Tal zwischen zwei grünen Berglehnen, wo es so still war, daß man die Luft in entfernten Baumwipfeln konnte säuseln hören. Auf einmal erkannte ich das Tal als zu der Heimatgegend gehörig, obgleich es so schlicht von Gestaltung war, daß es nirgends eine eigentümliche Form darbot, und kein menschliches Gebäude zeigte sich dem Auge.
Ungefähr in der Mitte des Weges, der das Tälchen durchschnitt, warf ich mich an eine kleine begrünte Erdwelle und überließ mich der schmerzlichen Erinnerung an alles, was ich schon gehofft und verloren, geirrt und verfehlt hatte. Auch zog ich Dorotheens grünen Zettel einmal wieder hervor, der noch immer zwischen einer Falte meiner Schreibtafel steckte. »Hoffnung zeigt sich immerdar treugesinnten Herzen gütig!« las ich und wunderte mich, daß ich das falsche Wechselchen noch bei mir trug. Da eben ein schwacher Luftzug dicht über der sommerwarmen Erde hinwallte, ließ ich es fahren, und es flatterte gemächlich über Gras und Heideblumen weg, ohne daß ich ihm weiter nachblickte.
Am besten wäre es, dachte ich, du lägest unter dieser sanften Erdbrust und wüßtest von nichts! Still und lieblich wäre es hier zu ruhen!
Nach diesem mir nicht mehr neuen Seufzer ließ ich die Augen von ungefähr an der gegenüberliegenden Berghalde schweifen, an deren halber Höhe ein Felsband von grauer Nagelfluhe zutage trat. Ebenso von ungefähr sah ich eine leichte Gestalt von der gleichen grauen Farbe längs dem Felsbande hingleiten oder schweben, und da die Halde von der Abendsonne beleuchtet war, so sah man gleichzeitig auch den Schatten der Gestalt an der Wand mitgleiten. Ich wußte, daß ein schmaler Pfad dort das Felsgesimse entlanglief, und verfolgte mit den Augen die Erscheinung, die sich mit einem sichtlichen Rhythmus bewegte, der mich an ein irgendwo schon Gesehenes erinnerte. Als die Gestalt, die unverkennbar eine weibliche war, das Ende der Felswand erreicht hatte, wandte sie sich und kehrte denselben Weg wieder zurück; es sah aus, als ob der Geist des Berges aus dem Gestein herausgetreten wäre, um im Abendscheine auf und ab zu wandeln.
Froh, meine schweren Gedanken ein wenig zu verscheuchen, erhob ich mich, ging über den Weg und drang durch das Gehölz empor, das den Fuß der jenseitigen Berglehne bekleidete bis unterhalb der Nagelfluhe, an welcher der Pfad hinführte. In wenigen Minuten hatte ich diesen erreicht. Man blickte dort aus dem Tale hinaus und sah in der Ferne einerseits die Ortschaft im Abendlichte schimmern, wo mein Amtssitz lag. Dieser Aussicht zugewendet sah ich die Gestalt
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