Der gruene Stein
alle turanianischen Bürger, dreimal am Tag zu beten. Selbst wenn ich zu nichts weniger Lust habe, als mich jetzt auf die Knie zu werfen, bleibt mir keine Wahl. Es ist sogar verboten, in einer Kutsche zu bleiben. Also steigen Lisutaris und ich aus, während wir frustriert knurren, und gesellen uns zu den anderen, die ebenfalls das Pech hatten, beim Ertönen des Rufs nicht im Haus zu sein. Lisutaris behagt die Aussicht, sich in den Staub zu knien und ihr teures Gewand zu beschmutzen, gar nicht, was man an ihrer mürrischen Miene deutlich ablesen kann.
»Vielleicht kann ich ja göttlichen Beistand gut gebrauchen«, meint sie und wirft mir einen Blick zu, der andeutet, dass sie in meine Fähigkeiten als Detektiv nicht mehr länger ihr vollstes Vertrauen setzt. Wir beten schweigend. Das heißt, wir tun so. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, mich über Harmonius AlpElf aufzuregen, weil er mich einen Schwachsinnigen genannt hat. Er ist vielleicht ein sehr mächtiger Zauberer, aber ich habe ihn niemals für sonderlich intelligent gehalten. Schließlich erlöst uns der Ruf, der das Ende der Gebete verkündet.
»Ich werde ein Wörtchen mit Harmonius AlpElf reden«, knurre ich und rapple mich auf.
»Ihr wärt sehr unklug, wenn Ihr Harmonius beleidigen würdet«, antwortet Lisutaris.
»Unklug? Ihr glaubt, ich mache mir Sorgen darüber, diesen spitzohrigen Scharlatan zu beleidigen? Er wäre nicht der erste Zauberer, dem ich einen Kinnhaken versetzt habe, bevor er einen Bann ausspucken konnte.«
Lisutaris wühlt in ihrem Beutel nach Thazis. »Wenn ich gewusst hätte, dass Ihr so labil seid, hätte ich Euch nicht engagiert.«
»Ich bin nicht labil. Ich mag nur keine Zauberer, die mich einen Idioten schimpfen.«
»Schwachsinniger war das Wort.«
»Von mir aus auch Schwachsinniger.«
Wir fahren schnell durch die Stadt. Lisutaris erzählt mir, dass sie zwar das Medaillon nicht ausfindig machen konnte, dafür aber Sarin bis zu einem Lagerhaus am Hafen verfolgt hat.
»Und ich habe auch einen mächtigen Anwender von Magie dorthin eilen spüren. Ich glaube, dass dies mit dem Medaillon in Verbindung steht.«
»Wahrscheinlich. Habt Ihr vielleicht eine Ahnung, um wen es sich bei diesem mächtigen Anwender von Magie handeln könnte?«
Lisutaris schüttelt den Kopf. »Dieser Aura bin ich bisher nicht begegnet.«
Wir kommen gut über den Boulevard voran und kreuzen dann den Fluss, gleichfalls im Galopp. Lisutaris’ Kutscher ist ein Meister seines Fachs und windet sich mit einer Geschicklichkeit durch das Gedränge der Lastkarren, die ich nur bewundern kann.
»Glaubt Kahlius wirklich, dass ich das Medaillon verloren habe?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Er vermutet, dass Ihr in ernsten Schwierigkeiten steckt. Mehr weiß er vielleicht noch nicht. Aber das genügt bereits, die Regierung aufzuschrecken, da Ihr die Oberhexenmeisterin der Zaubererinnung seid.«
»Er wird auf jeden Fall bei meinem Maskenball verlangen, das Medaillon zu Gesicht zu bekommen.«
»Vielleicht könnte ich ihn ablenken, wenn ich da wäre?«
»Glaube ich nicht.« Lisutaris zündet sich eine weitere Thazisrolle an.
Ich verfalle den Rest der Fahrt in brütendes Schweigen. Lisutaris wischt sich beiläufig den Staub von ihrem Gewand. Wie ihr Regenbogenumhang ist auch der Stoff dieses Kleides von höchster Qualität. Die Herrin des Himmels ist eine außerordentlich wohlhabende Frau. Sie hat eine große Hinterlassenschaft von ihrem Vater geerbt, einem reichen Großgrundbesitzer, der sein Vermögen noch um ein Vielfaches vermehrt hat, nachdem er in den Senat gewählt wurde. Die übliche Hauptbeschäftigung unserer Senatoren. Es ist zwar ungewöhnlich, dass ein Zauberer in Turai aus den höchsten Adelskreisen stammt, weil Zauberei wie jede andere ehrliche Arbeit für gewöhnlich unter ihrer Würde ist, aber Lisutaris war das jüngste Kind der Familie. Es wurde ihr freigestellt, sich ihren eigenen Weg zu suchen, während ihre beiden älteren Brüder für ihre Rolle in der Gesellschaft zurechtgetrimmt wurden. Ihr Vater war zwar nicht übermäßig erfreut darüber, als sich bei ihr eine Begabung zur Zauberei zeigte, aber da ihre beiden männlichen Geschwister bereits ehrbar dekadent aufwuchsen, verbot ihr Vater ihr nicht, etwas Sinnvolles zu lernen.
Unter normalen Umständen hätte sich Lisutaris zu einer schwer arbeitenden Zauberin mit einem bescheidenen Einkommen entwickelt, aber ihre beiden Brüder kamen im letzten Orgk-Krieg unglücklicherweise ums
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