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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
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einmal ausgezeichnet beherrscht, dann aber so gut wie vergessen hatte.
    Das Gedächtnis des alten Chong funktionierte also noch, freilich nur auf unterbewußter Ebene. Die Frage war, wo war sein Bewußtsein geblieben, sein Selbst? Und wie war es möglich, daß sein Körper so vollkommen erhalten geblieben war, daß ich, ein zufällig des Wegs kommender wandernder Geist, hineinschlüpfen und ihn sofort hatte wiederbeleben können?
    Ein angenehmes Resultat meiner Sprachbeherrschung war, daß Khinnom, seiner Pflichten als Sprachlehrer ledig, sich nun zu Gesprächen herbeiließ. Der schlaue Alte, so zugeknöpft er in manchen Dingen blieb, gewährte mir sogar wohldosierte Antworten auf einige meiner Fragen.
    Auf die nach dem guten Erhaltungszustand meines Körpers lächelte er beinahe entschuldigend und sagte in seiner weichen Stimme: »Sicherlich erinnerst du dich, Herr, daß du niemals gestorben bist, sondern dem Bann des Zauberers zum Opfer fielst.«
    »Ich erinnere mich nicht daran, weiser Lehrer«, sagte ich. »Wie sollte ich? Ich erinnere mich an nichts aus meinem früheren Leben; du, der du mich so geduldig die Sprache unseres Landes gelehrt hast, mußt das doch am besten wissen. Aber was meinst du damit: ich sei niemals gestorben? Welcher Zauberer – und was für ein Bann?«
    Wir waren an diesem Tag in seiner eigenen Wohnung, in einem kühlen, angenehmen Arbeitszimmer, fast leer und mit Fenstern in der Außenseite des Baums, die den Blick auf Blätter, Zweige und grüngoldenes Tageslicht freigaben. Ein Arbeitszimmer für einen Philosophen, angefüllt mit Frieden und Stille, wie geschaffen für Besinnung und Kontemplation.
    Aus einem einfachen Wandregal mit Schriftrollen nahm er ein Pergament und entrollte es. Sein Zeigefinger folgte den gedrängten Zeilen krauser kleiner Schriftzeichen, und er zitierte etwas daraus. Die Diktion war so altmodisch und gestelzt, daß ich nicht viel verstand.
    »Was ist das?« fragte ich ungeduldig.
    »Die Geschichte deiner dreißig Taten, Herr. Die dreißigste und letzte sollte die Welt von jenem Zauberer befreien, den wir den ›Herrn der Geister‹ nennen. Er war es, der deinen Geist aus deinem Fleisch riß und in den leeren Raum der Nebel hinausschleuderte, noch über den grünen Stern unseres Lichts hinaus. Du erschlugst ihn im gleichen Moment, aber schon war der Bann des tausendjährigen Todesschlafs über dir. Unsere ehrwürdigen Vorväter betrauerten dich und bewahrten deinen Körper auf für den vorbestimmten Tag, da dein ruheloser Geist von jenseits der Sterne heimkehren würde.«
    Ein unbehagliches Prickeln überlief mich. Sein Bericht kam den Tatsachen in einer Weise nahe, die etwas Verwirrendes, ja Unheimliches hatte. Ich erinnerte mich, wie ich auf der öden Oberfläche des Mars das ferne Leuchtfeuer des grünen Sterns gesehen hatte und von einer seltsamen Faszination ergriffen worden war … Konnte es sein, daß etwas in mir ihn aus einem anderen Leben wiedererkannt hatte?
    Konnte es sein, daß ich wirklich dieser Chong war, oder vielmehr gewesen war, viele Leben vor diesem, meinem menschlichen auf der Erde? War der Geist wirklich unsterblich in einem endlosen Zyklus von Geburt und Tod und Wiedergeburt, wie die tibetischen Lamas es glaubten? Aber wenn es sich so verhielt, warum hatte ich dann keine Erinnerung an mein früheres Leben als Chong der Mächtige, oder an die anderen Leben, die ich seither gelebt hatte? Waren die Erinnerungen und Erfahrungen eines Lebens an den Körper gebunden und unrettbar verloren, wenn der Geist sich aufmachte, um in eine neue Inkarnation einzugehen?
    Die Implikationen, die sich aus solchen Überlegungen ergaben, waren aufwühlend, geeignet, mein überkommenes Weltbild radikal zu verändern. Ich schob sie entschlossen beiseite und wechselte das Thema.
    »Wie ist es möglich, weiser Lehrer, daß ihr, die ihr unter immerwährenden Nebeln lebt, etwas von den Sternen wißt?«
    »Zuweilen gibt es Risse in den Wolken, die unseren Himmel verschleiern«, sagte er. »Genauso mag es eines Tages Risse in der Vergeßlichkeit geben, die deinen Geist umwölkt, Herr. Und dann mag es sein, daß ein Lichtschimmer der Erinnerung an dein Leben als Chong der Mächtige durchscheinen wird …«
    Ein noch angenehmeres Resultat meiner beendeten Lehrzeit war, daß ich die liebliche Prinzessin nun viel häufiger sah.
    Und nicht nur bei jenen endlosen formalen Banketts; wir hatten mehrere Gespräche oder Privataudienzen, denn sobald sie erfahren hatte, daß ich die

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