Der grüne Stern
nicht zu deuteln, aber mit einer scharlachroten sah ich ihn nie. Und wenn ich hörte, wie der Geheime Hüter während der Gedichtrezitationen zu schnarchen pflegte, konnte ich mir nicht gut vorstellen, daß er sich für irgendein Buch interessierte, und sei es aus Silber.
Eins ließ sich immerhin zugunsten dieser endlosen Banketts anführen, und das war, daß sie mir Gelegenheit gaben, Niamh zu sehen.
Getafelt wurde an langen, niedrigen Tischen, und die Teilnehmer saßen mit gekreuzten Beinen auf weichen Polstern. Wie es einem sagenhaften Helden zukam, den die Götter selbst in der Stunde der Bedrängnis wieder zum Leben erweckt hatten, war mein Platz an der königlichen Tafel, gegenüber der Prinzessin. So hatte ich die angenehme Gelegenheit, meine Augen an ihr zu weiden, während ich meinen Bauch mästete.
Wie lieblich sie war! Schlank und biegsam wie ein junger Baum, ernst und unschuldig, graziös und zierlich wie eine Märchenprinzessin. Ich hatte mit Frauen wenig zu tun gehabt. Während meines Lebens auf der Erde als ein an den Rollstuhl gefesselter Krüppel schien es mir unmöglich, daß ich in den Augen einer schönen Frau jemals etwas anderes als ein Objekt des Mitleids oder der Verachtung sein könnte. Weil ich keins von beiden sein wollte, mied ich ihre Gesellschaft, obwohl meine Triebe so normal waren wie die jedes unversehrten und gesunden Mannes. Nun sonnte ich mich in der Seligkeit ihrer Nähe und in den scheuen Blicken, die sie mir manchmal durch ihre seidigen Wimpern zuwarf. Wie wundervoll und seltsam es war, sich von einem schönen Mädchen bewundert zu wissen! Und wie erregend war das Bewußtsein, groß und stark zu sein, ein Held, ein Krieger von unsterblichem Ruhm – wenn schon nicht in meinen eigenen Augen, so doch in den Augen aller, die mich ansahen!
In solchen Momenten vergaß ich alle meine Zweifel und begründeten Befürchtungen, einer solchen Rolle nicht gerecht werden zu können. Doch später, wenn ich wieder allein in meinen luxuriösen Räumen war, kehrten sie verstärkt zurück, und dann schalt ich mich einen Dummkopf, daß ich so lang geblieben war und mich noch immer nicht aufraffen konnte, diesen Körper zurückzulassen und mich als freier Geist emporzuschwingen, neuen Entdeckungen entgegen. Ich war nicht der mythische Herkules, den sie in mir sahen, sondern ein fremder Wanderer auf Reisen, vorübergehend in einem Körper, der mir nicht gehörte, ein heimlicher Genießer von Verehrung und Bewunderung, die einem anderen galten. Überdies hatte ich den Verdacht, daß der weise alte Khinnom seine Zweifel an der Echtheit meiner Wiederbelebung hegte. Angenommen, man stellte mir Fragen über mein erstes Leben als Chon – Fragen, die ich nicht beantworten konnte, weil sie einem Leben galten, das ich nie gelebt hatte? Würde es nicht klüger sein, diesen geliehenen Körper aufzugeben, zurückzukehren und das Leben wiederaufzunehmen, das mein eigenes war?
Ich zögerte – ich schob die Entscheidung hinaus. Warum, so sagte ich mir, sollte ich schon jetzt in den Körper eines Krüppels zurückkehren und dieser unheimlichen und rätselvollen Welt der kilometerhohen Bäume, juwelenfunkelnden Städte und Elfenritter auf Libellen den Rücken kehren? Was erwartete mich zu Haus anderes als ein trauriges Leben mit Büchern und Träumen?
Und so blieb ich – und verlor mein Herz.
Immer wieder grübelte ich über die Bedeutung jener dramatischen Szene, die ich mit meiner unfreiwilligen Auferstehung unterbrochen hatte. Was hatte hinter der gespannten Konfrontation gesteckt? Was hatte der Gelbgekleidete mit der schwarzen Kristallkrone gewollt?
Als ich Khinnom danach fragte, zupfte er nur mißmutig an seinem Ziegenbart herum, der an diesem Tag blau gefärbt war, und ging zur Sprachlektion über, ohne auch nur mit einem Wort auf meine Frage einzugehen. Panthon, gewöhnlich meine Hauptinformationsquelle, zeigte sich seltsam widerspenstig, auf meine Fragen zu antworten. Später erfuhr ich, daß sein Widerwille einer geheiligten Tradition entsprang: Männer der Kriegerklasse diskutieren nicht über Angelegenheiten des Adels; das Tun und Lassen ihrer Herren ist kein Thema für Klatsch und Spekulationen.
Nach und nach brachte ich dennoch genug Einzelinformationen zusammen, um mir daraus ein Bild von der Situation zu machen.
Akhmim, der Mann im gelben Gewand, war der Herr einer anderen Baum-Stadt, die Ardha genannt wurde. Und sein Ultimatum war ein Heiratsantrag gewesen!
Wie es schien, war nach der
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