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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
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beleuchteten Tunnel, von dem zwei Seitengänge zu Lagerräumen und Waffenkammern abzweigten. Das Ende des Tunnels war mit lichtdämmenden Flechtmatten verhängt, deren Fasern, wie man mir später sagte, aus den Skeletten von Blättern gewonnen wurden. Als wir diesen Mattenvorhang hinter uns hatten, befanden wir uns in einer großen, weiten und anheimelnd warmen Halle, deren kuppelförmig aus dem Holz des Stamms gehauene Decke im Scheitelpunkt eine Höhe von etwa fünfzehn Metern hatte. In der Mitte des kreisrunden Raums war eine mit Mauerwerk ausgekleidete Vertiefung im Boden, die als zentrale Feuerstelle und gemeinsame Kochgelegenheit diente. Jemand hatte ein paar armdicke Äste in die Glut geworfen, so daß die Halle nun von hellem Feuerschein und dem Prasseln brennender Scheite erfüllt war. Hinter der Feuerstelle waren in einem weiten Halbkreis Holzbänke und niedrige, roh behauene Tische aufgestellt. Zwei übereinanderliegende Galerien von Nebenräumen, die anscheinend als Familienquartiere dienten, gliederten die rohen Holzwände der Halle ringsum mit ihren Tür- und Fensteröffnungen und den Treppenaufgängen zur oberen Galerie und verliehen dem weiten Raum seltsame Ähnlichkeit mit einem Opernsaal, dessen Bühne für eine Carmen-Aufführung als andalusischer Marktplatz dekoriert worden war. Als wir hereinkamen, waren ungefähr zwei Dutzend Leute in der Halle. Einige von ihnen waren Männer, die mit uns gekommen waren, die meisten aber waren Frauen. Auch Kinder waren zu sehen. Die Rückkehr der Jäger hatte Leben ins Höhlendorf gebracht, und immer mehr Bewohner kamen aus den Wohnquartieren, sie zu empfangen.
    Die Frauen der Geächteten waren ein lebhaftes und dreistes Völkchen, gekleidet in weite Röcke und enganliegende Westen aus groben, selbstgesponnenen Stoffen, deren farbliche Eintönigkeit sie mit bunten Kopftüchern und Schürzen kompensierten. Goldene Ketten und Ohrgehänge und Armreifen ließen ahnen, daß ihre Männer nicht nur in der Jagd auf die Tiere des Waldes erfolgreich waren.
    Nach und nach schien sich die gesamte Bevölkerung zu versammeln. Ich sah ältere Männer, sogar einige Greise, die trotz ihrer Jahre einen frischen und gesunden Eindruck machten, aber auch junge Männer, die verkrüppelt oder verletzt waren. Einem kräftigen Burschen von vielleicht zwanzig Jahren fehlte ein Bein, ein anderer hatte ein rotes Halstuch um Stirn und Augen geschlungen, offenbar um seine leeren Augenhöhlen zu verbergen. Diese Unglücklichen waren zweifellos Opfer ihrer gefährlichen Lebensweise; und nach zwei Tagen im Wald der Riesenbäume konnte ich gut verstehen, daß es eine Lebensweise war, die völlig außerhalb des Erfahrungshorizonts von Menschen lag, die die Städte bewohnten. Diese Banditen und Geächteten wurden von den Soldaten der Städte gejagt und mußten daher nicht nur gegen die natürlichen Gefahren des Waldes, der von Ungeheuern und Raubzeug wimmelte, um ihr Oberleben kämpfen, sondern auch gegen ihre Mitmenschen.
    Die Begrüßung der heimkehrenden Jäger entwickelte sich zu einem Fest, an dem alle teilnahmen. Neue Äste wurden ins Feuer geworfen, bis meterhohe Flammen aufloderten, die riesige, zuckende Schatten über die Wände tanzen ließen. Frauen umarmten kreischend und lachend ihre Männer, zerlumpte Kinder mit blitzenden Augen und erhitzten Gesichtern tobten und rannten quietschend zwischen den Erwachsenen herum. Aus den Lagerräumen wurden Weinschläuche geholt, geräumige Trinkbecher aus glänzend poliertem Holz erschienen auf den Tischen, wurden gefüllt, und die ersten Zecher ließen sich auf den Bänken nieder.
    Niamh und ich wurden weder ignoriert noch neugierig begafft; man schien unsere Gegenwart für selbstverständlich zu halten. Wahrscheinlich führten die Jagdexkursionen des öfteren zur Entdeckung flüchtiger Delinquenten und Ausgestoßener, die ziellos im Wald umherirrten und, wenn sie gefunden wurden, neue Mitglieder der Bande wurden. Wir setzten uns an einen der Tische neben dem prasselnden Feuer, und unsere Gastgeber versorgten uns mit Trinkbechern und Wein.
    Die müden Jäger warfen sich auf die Bänke, ihre Frauen neben sich, und es begann ein Erzählen und Schwadronieren, immer wieder unterbrochen von Neckereien, Spaßen und Gelächter. Musikinstrumente wurden herbeigeholt, und eine plötzliche Karnevalsstimmung riß die Frauen zu Ausbrüchen temperamentvoller Fröhlichkeit hin. Die jüngeren von ihnen sprangen in einem ausgelassenen Reigentanz herum, daß die

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