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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
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meinem Harnisch, inzwischen nur noch schmutzige Lappen waren, kaum hinreichend, unsere Blößen zu bedecken, und sie befahl einem ihrer Leute, passendere Kleider für uns zu suchen.
    Nach dem Frühstück führte der Mann uns zu den Lagerräumen und versorgte uns mit geeigneten Sachen. Er war ein freundlicher junger Bursche namens Kaorn, mit einem frischen, offenen Gesicht, und ich schätzte ihn auf höchstens sechzehn oder siebzehn Jahre. Wie zuverlässig diese Schätzung war, kann ich nicht sagen, denn das Alter der Laonesen und ihre durchschnittliche Lebenserwartung sind mir bis zur Stunde rätselhaft geblieben. Das hängt mit der eigenartigen Rolle zusammen, die der Zeitbegriff im Leben dieser Leute spielte.
    Der Zeitablauf blieb unter den Laonesen weitgehend unbezeichnet, und auch in ihren Gesprächen nahmen sie kaum jemals darauf Bezug. Unter uns Erdenbewohnern wird ständig in Zeitvorstellungen gedacht und gesprochen; Wörter wie Tag und Nacht, Stunde und Minute, gestern und morgen kommen in fast jedem Satz vor. Praktisch jede Handlung unseres Alltagslebens läuft in einem zeitlichen Bezugsrahmen ab.
    Dies war, so sonderbar es klingen mag, bei den Laonesen ganz und gar nicht der Fall. Zeitbezüge, wie sie uns so vertraut sind, fehlten in ihrer Rede und ihrem Denken fast ganz, obwohl mir dieser Punkt nicht sofort auffiel und erst ziemlich spät bewußt wurde. Danach, als ich darauf zu achten begann und mir meine Gedanken über das Phänomen machte, führte ich es auf zwei Tatsachen zurück. Die eine war, daß die Laonesen in einer vorindustriellen Zivilisation lebten, die noch nicht das technologische Niveau erreicht hatte, wo die Erfindung und Herstellung von Uhren möglich und notwendig wird. Ohne den Besitz von Uhren oder anderen Zeitmeßgeräten aber wäre jede Einteilung der Zeit in Stunden und Minuten höchst willkürlich und sinnlos gewesen.
    Die zweite Tatsache war einfach die, daß die Laonesen ihre Sonne selten sahen. Das Tagesgestirn und erst recht der nächtliche Sternhimmel waren meistens hinter den hochreichenden Dunstschleiern der Atmosphäre verborgen, und die riesigen und dichtbelaubten Bäume, in denen die Bewohner dieser Welt lebten, taten ein übriges, Beobachtung und Berechnung der Himmelsmechanik zu verhindern.
    Aber über die Tatsache hinaus, daß die Laonesen mit der Aufteilung der Zeit in kleine Einheiten nichts anzufangen wußten, schien ihrem Denken sogar die Gliederung längerer Zeitspannen in Jahreszeiten oder Jahre fremd zu sein. Unglücklicherweise war mein Aufenthalt auf der Welt des grünen Sterns viel zu kurz, als daß ich den Ablauf der Jahreszeiten hätte beobachten können, aber es mag gut sein, daß die Axialneigung dieses Planeten so gering ist, daß in den verschiedenen Breiten jeweils stabile Klimabedingungen herrschen und Temperaturunterschiede zwischen den Jahreszeiten nicht bestehen oder zu geringfügig sind, um bemerkt zu werden.
    Während der Zeit, die ich unter ihnen verbrachte, hörte ich niemals einen Laonesen von Jahren in einem Sinn sprechen, wie es bei uns üblich ist; der Begriff reduzierte sich für sie auf die abstrakte astronomische Einheit eines Sonnenumlaufs, und selbst diese theoretische Erkenntnis, die sie vermutlich Wanderern aus anderen Klimazonen ihres Planeten verdankten, hatte in ihrer Vorstellungswelt keine reale Bedeutung erlangt und war ohne Nutzanwendung geblieben.
    Unter diesen Umständen war es kein Wunder, daß niemand in der Lage war, halbwegs präzise Angaben über sein Lebensalter zu machen, und weil ich bei meinen Schätzungen nur den Maßstab meiner eigenen Erfahrung hatte, konnten sie sehr danebenliegen.
    Khinnom, der weise alte Mann von Niamhs Hof, der mich die Sprache lehrte, war offensichtlich ein Mann von mehr als reifen Jahren, abgemagert und mit den steifen, bedächtigen Bewegungen des Alters, und seine Kenntnisse wie auch seine ruhig abwägende Art zu denken und zu sprechen, konnte er nur in langen Jahren der Erfahrung, des Lernens und Nachdenkens erworben haben. Aber es war mir unmöglich, sein Alter zu schätzen, denn sein Gesicht war faltenlos und fest, seine Haltung kerzengerade und seine Haut straff und blühend und frei von Altersflecken. War er ein gut erhaltener Siebzig- oder gar Achtzigjähriger? Oder war er erst vierzig, aber doch schon alt, weil die Lebensspanne der Laonesen eine andere war? Ich weiß es nicht zu sagen.
    Der junge – oder nicht mehr so junge – Kaorn hatte einige Mühe, passende Kleidungsstücke

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