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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
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Frisur aufgetürmt, um die schmale Taille einen Gürtel aus quadratischen Goldplatten, der die weichen Falten der Seide raffte und die schwellenden Formen ihrer Brüste und die gerundeten Linien ihrer Hüften und Schenkel betonte – und da die arme Niamh, von oben bis unten mit Fett bespritzt, das Haar strähnig und ungekämmt, den Saum ihres schmutzigen Arbeitskittels ausgefranst und zerrissen, die Hände rauh und von der Arbeit gerötet. Aber was hatte dieser Kontrast mit den Gründen von Sionas Abneigung gegen Niamh zu tun?
    »Ich verstehe es wirklich nicht«, sagte ich.
    Niamh warf mir einen langen, kühlen und leicht amüsierten Blick zu.
    »Nein?« fragte sie ungläubig. »Tatsächlich, du verstehst nicht«, sagte sie. Und damit drehte sie sich zur Wand, kehrte mir den Rücken zu und schlief gleich darauf ein. Ich starrte mißmutig ihren Rücken an und hatte Zeit, über die Logik weiblichen Denkens nachzugrübeln.
    Sligon mied meine Nähe, so gut er konnte; aber es war nicht immer möglich, weil ihn seine Aufgaben gelegentlich mit mir zusammenführten.
    Das war schon am nächsten Abend der Fall, als Yurgon die Wachen einteilte. Nach unserer Ankunft im Hauptquartier der Bande hatte Siona mich Yurgons Befehl unterstellt und sich seitdem nicht mehr die Mühe gemacht, eine andere Regelung anzuordnen, die meinen Status innerhalb der Gruppe geklärt hätte. So gehörte ich faktisch zur Bande und hatte die gleichen Pflichten wie alle anderen. Daß ich nicht freiwillig bei ihnen war und versuchte, meinen und Niamhs Aufenthalt als eine Gastrolle zu interpretieren, wurde allenfalls formal anerkannt.
    Während ich anfangs nur für den Wachdienst am Tor eingesetzt worden war, wurde ich in dem Maße, wie Yurgons Vertrauen zunahm, auch für den Dienst auf den Außenposten eingeteilt. Diese Außenposten waren eigentlich Beobachtungsstationen, kleine Plattformen an den Enden strategisch wichtiger Äste und in den höheren Etagen des Baums, mit einem hüfthohen Geländer aus Flechtwerk und durch geschickt zurechtgebogene Zweige sorgfältig getarnt.
    Der Außenposten, den Yurgon mir am Tag nach meinem Zusammenprall mit Siona zuwies, war abgelegen und luftig, hoch oben in dem gigantischen Baum, der das Höhlendorf der Bande beherbergte. Um hinaufzugelangen, mußte man eine Folge von Strickleitern erklettern, und weil die Umstände einen häufigen Wachwechsel verhinderten, mußten die Männer dieses Außenposten vom Abend bis zum Morgengrauen ausharren, bis die Ablösung kam.
    In der Terminologie der Bande hieß der Posten, für den ich an diesem Abend eingeteilt worden war, die ›Station Roter Ast‹, denn der kleine Nebenast, an dessen Ende die Plattform mit Lederriemen befestigt war, trug Kolonien rötlicher Flechten, die anderswo nicht vorkamen. Als Yurgon meinen Namen und die Station aufrief, hatte ich den Eindruck, daß Sligon die Ohren spitzte. Ein befriedigter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, als sei ihm eine gute Idee gekommen. Anscheinend fand er sie so faszinierend, daß er seine Aufmerksamkeit nur mit Mühe wieder auf das zurücklenken konnte, was Yurgon noch alles anordnete.
    Zu der Zeit konnte ich mit dieser Beobachtung nicht viel anfangen, und ich maß ihr weiter keine Bedeutung bei. Später allerdings erinnerte ich mich ihrer nur zu gut.
    Etwas kratzte über die rauhe Borke und riß mich aus dem Dösen, in das ich wider Willen verfallen war.
    Die Nächte in der Welt der Riesenbäume waren von undurchdringlicher Dunkelheit, und diese Dunkelheit war für einige spezialisierte und gefürchtete Raubtierarten des Waldes das Milieu, in dem sie sich wohlfühlten und ihrer Beute nachstellten. Dies taten sie völlig lautlos, um die schlafenden Lebewesen des Tages, auf die sie Jagd machten, nicht vorzeitig aufzuschrecken, und ihre hervorragenden Sinnesorgane sicherten ihnen ihre Überlegenheit. So kam es, daß die Nächte in diesem Wald der Riesenbäume nicht nur völlig schwarz, sondern auch von einer fast gespenstischen Stille waren, die nur selten ein Schrei unterbrach.
    Diese Stille hatte mein Gehör geschärft, und als ich nun das leise Scharren und Kratzen hörte, war ich sofort hellwach. Ich saß mit angezogenen Knien auf dem Boden der kleinen Plattform, die wie ein Nest war und zu eng, um im Sitzen die Beine auszustrecken. Leise stand ich auf, beugte mich über das geflochtene Geländer und lauschte angestrengt in die Finsternis.
    Ein kaum wahrnehmbares Zittern durchlief den Ast, in dessen äußerster noch

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