Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
Vom Netzwerk:
tragfähiger Verzweigung die Plattform befestigt war. Die Vibration war so gering, daß ich sie wahrscheinlich nicht bemerkt hätte, wäre ich nicht von dem Kratzen gewarnt und zu besonderer Aufmerksamkeit veranlaßt worden. Ich hielt den Atem an und verfluchte den Puls, der überlaut in meinen Schläfen hämmerte, und meine schon immer von haarsträubenden Geschichten angestachelte Fantasie gaukelte mir Bilder scheußlicher Monster vor, die den Ast entlang auf mich zuglitten. In diesem Moment hätte ich fast alles für eine billige kleine Taschenlampe gegeben.
    Wie die Dinge lagen, hatten wir Befehl, keine Alarmsignale zu geben, solange wir nicht entweder eine feindliche Streitmacht entdeckten oder direkt von irgendeiner Bestie angegriffen wurden. Meine schwitzende Hand griff schon zum Signalhorn, das neben mir ans Geländer gebunden war, aber dann ermahnte ich mich zur Ruhe und ließ es sein. Ich wollte nicht die Rolle des ängstlichen Dummkopfs spielen, der sich vor der Dunkelheit fürchtet und schon Alarm gibt, wenn ihm seine überreizte Fantasie etwas vorspiegelt. Ich wartete und strengte meine Ohren an und geriet fast in Verzweiflung, als ich nur die Geräusche des Blutes in meinem Kopf hörte: sie schienen alles zu übertönen, was von außen kam.
    Wieder eine leise Erschütterung des Astes. Er war nicht allzu steil, so daß man vom Stamm zur Station ohne Strickleiter hinunterklettern konnte. An einigen gefährlichen Stellen waren in Brusthöhe Seile gespannt, um der Hand Halt zu geben, und man konnte sich ganz gut daran entlangziehen – bei Tageslicht. Bei Nacht aber war die Wegstrecke auf dem gewundenen und stellenweise doch beträchtlich ansteigenden Ast mit seinem schlüpfrigen Flechtenbewuchs nichts für schwache Nerven. Was da heraufkam, fast lautlos, nur den Halt an der rauhen Borke und dicht neben sich unsichtbar die schwindelnde Leere, mußte ein besonders gefährliches Ungeheuer sein. Meine Fantasie malte sich ein Schreckenskabinett greulicher Bestien aus, während ich in die Finsternis hinausstarrte, von Riesentausendfüßlern und gigantischen, blutsaugenden Baumwanzen bis hin zu baumbewohnenden Säbelzahntigern. Meine Lieblingsvorstellung aber war eine enorme Schlange. Ich glaubte beinahe den dicken, elastischen Leib zu sehen, wie er sich um den Ast wand, langsam aufwärts glitt, den stumpfen, keilförmigen Kopf von der Größe eines Reisekoffers züngelnd erhoben, der Witterung meines Fleisches durch die Finsternis folgend …
    War es Einbildung, oder sah ich einen matten Lichtschimmer?
    Ja – da war es wieder! Ein winziges, schwaches Lichterpaar! Zwei Augen, die in der Dunkelheit glühten?
    Wenn eine enorme Schlange oder ein anderes Ungeheuer über den Ast zu meinem Mastkorb unterwegs war, um ihn zum Freßnapf zu machen, wären meine Überlebenschancen nicht die besten. Die Wachen waren mit Jagdmessern bewaffnet und trugen einen knapp zwei Meter langen Speer auf dem Rücken. Das war alles, was wir an Waffen hatten, denn unsere Aufgabe war, zu lauschen und zu beobachten und, wenn nötig, das Alarmsignal zu geben. Daß wir kämpften, wurde nicht von uns erwartet.
    Der Speer schien mir in dieser Situation die brauchbarste Waffe zu sein. Vielleicht könnte ich das Ungeheuer, was immer es war, mit einem überraschenden Zustoßen aus dem Gleichgewicht bringen und vom Ast werfen. Es war ganz nahe; ich konnte seinen Atem hören.
    Ich packte das Ende des Speers mit beiden Händen und stieß kräftig in die Richtung, in die der abwärts geneigte Ast verlief.
    Im nächsten Augenblick geschah zweierlei.
    Als ich mich über das Geländer beugte und zustieß, zischte etwas an meinem Gesicht vorbei. In der Dunkelheit sah ich nur einen ungewissen Schimmer, als es vorbeisauste; aber keine Nacht ist so dunkel, daß man nichts von einer breiten, blanken Messerklinge sieht, die einem fünf Zentimeter am Kopf vorbeifliegt.
    In dem Moment, als das geworfene Messer knapp meinen Kopf verfehlte und in der Dunkelheit verschwand, kam mein Speer mit etwas in Berührung, das sich zäh am Ast festhielt, wo meine Reichweite endete. Ich beugte mich noch weiter über das Geländer und stieß erneut zu, und diesmal schien der Speer mit seiner scharfen Spitze zwischen den Angreifer und den Ast zu fahren, auf dem dieser saß oder lag. Sofort riß ich meine Arme nach oben, so hoch ich konnte, um meinen Gegner durch die Hebelwirkung aus dem Gleichgewicht zu bringen.
    Ein entsetztes Keuchen und ein unterdrücktes Aufheulen waren die

Weitere Kostenlose Bücher