Der grüne Stern
sagte der Junge verdutzt. »Er schläft, denke ich -was du und ich auch tun sollten. Warum fragst du?«
»Ach – nichts. Es ist nicht so wichtig«, sagte ich. Dann klopfte ich ihm auf die Schulter, kehrte in die Schlafkammer zurück und warf mich aufs Bett.
Aber ich schlief nicht. Noch lange nachdem Niamh gegangen war, um ihren Pflichten in der Küche nachzukommen, warf ich mich ruhelos von einer 5eite auf die andere und fragte mich, ob es wirklich Sligon gewesen war, der vor dem Eingang unserer Kammer gelauscht hatte. Und ob er, wenn er es gewesen war, gehört hatte, was ich zu Niamh sagte.
Zuletzt überwältigten Müdigkeit und Erschöpfung meine Sorgen, und ich schlief. Aber meine Träume waren dunkel und wirr, bedrückende Alpträume, durch die eine monströse, bucklige Gestalt wie ein verkrüppelter Gorilla hinkte, Träger eines furchtbaren Geheimnisses, das in seinen bösen Augen brannte.
Noch am gleichen Abend sollte es zu einer entscheidenden Zuspitzung der Lage kommen. Aber zuvor trat ein überraschendes Ereignis ein, das keiner von uns hatte vorausahnen können.
Während die Beobachtungsposten in ihren kleinen Krähennestern oben im Baum bei Tag und Nacht ihren Schichtdienst versahen, waren tagsüber berittene Patrouillen auf den Riesenlibellen unterwegs, um die weitere Umgebung des Hauptquartiers zu überwachen. Am Spätnachmittag kehrte einer von diesen Kundschaftern mit einer erstaunlichen Nachricht zurück.
Auf seinem Flug hatte er einen Trupp in den gelben und schwarzen Farben der Stadt Ardha beobachtet, der unter einer Friedensflagge gereist war. Als er sich daraufhin den Fremden auf Rufweite genähert hatte, hatten die Abgesandten Akhmims ihm erklärt, sie hätten eine Botschaft ihres Herrn zu überbringen, die für keine andere als Siona bestimmt sei. Was für eine Botschaft dies war, wollten sie keinem anderen als der Führerin der Bande persönlich enthüllen, und zu diesem Zweck wünschten sie freies Geleit zum Hauptquartier der Waldbewohner.
»Wir sollen Abgesandte des Feindes hier hereinlassen?« sagte Siona ungläubig. »Sie müssen verrückt sein, zu glauben, daß wir ihnen den Weg zu unserem Versteck zeigen würden!«
»Andererseits«, meinte Yurgon nachdenklich, »könnte es nicht schaden, wenn wir herausbrächten, was sie von uns wollen. Man könnte ihnen sorgfältig die Augen verbinden und sie auf Umwegen hierher bringen. So würden sie nicht erfahren, wo unser Versteck liegt.«
Siona überdachte die Anregung, rieb ihr kleines, energisches Kinn und zog die Stirn in Falten.
»Sicher, was du sagst, hat einiges für sich. Was immer die Leute von Ardha von uns wollen, irgendwas muß dabei für uns herausspringen. Und es ist lange her, daß wir eine Handelskarawane um ihre Waren und dicken Geldtaschen erleichtert haben. Viel zu lange. Gut, Yurgon, wir werden darauf eingehen. Du kümmerst dich um die Einzelheiten und sorgst für die Sicherheitsvorkehrungen. Wir werden diese Abgesandten heute abend hier empfangen. Aber gib acht, daß nicht andere im Verborgenen lauern und euch heimlich folgen.«
Niamh, die das Gespräch an meiner Seite mitgehört hatte, erschauerte plötzlich und grub ihre Fingernägel in meinen Arm, als ob sie ahnte, daß ein grausames und verhängnisvolles Schicksal im Begriff war, über uns zu kommen.
Der Abend kam und wurde zu samtschwarzer Nacht; aber erst eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit wurden die Abgesandten Akhmims von Ardha in das Versteck gebracht.
Yurgon hatte den Schutz der Dunkelheit abgewartet, denn er traute den Fremden nicht. Er und die anderen Geächteten in Sionas Bande hatten ihre Erfahrungen mit den skrupellosen Listen der Städter, deren Feinde sie waren, und auch eine fest geknüpfte Augenbinde konnte verrutschen. Aber indem er die Abgesandten in finsterer Nacht zum Ziel brachte, war die Sicherheit größer, daß die Lage des Hauptquartiers den gelbschwarzen Feinden auch in Zukunft unbekannt blieb.
Ich war froh, daß ich in der vergangenen Nacht Wachdienst gehabt und den Tag frei hatte; so hatte Yurgon mich nicht zu einem der Begleiter machen können, die die Abgesandten Akhmims auf Umwegen zum Hauptquartier zu geleiten hatten.
Nicht, daß es sehr wahrscheinlich war, daß einer der Leute aus Ardha mich wiedererkannt hätte; aber Akhmim war am Tag meiner Auferstehung mit einem Gefolge in Phaolon gewesen, und es war nicht ausgeschlossen, daß jemand aus diesem Gefolge zur Gesandtschaft gehörte. Auf jeden Fall erwarteten wir alle mit
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