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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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erträglich wie möglich zu machen. Denn es war keine leichte Sache, entführt zu werden, auch wenn derjenige, dem so etwas widerfährt, an nichts zu denken braucht.
    Du siehst wunderschön aus in deinen neuen Sachen, sagte er.
    Du hast gut gewählt, sagte sie. Und sie passen mir wie angegossen.
    Das ist nur der Anfang, sagte er. Von jetzt an wird der Sohn der Schneiderin deinen Kleiderschrank füllen.
    So etwas bedarf sorgfältiger Überlegung, eine Garderobe von Grund auf.
    Der Sohn einer Schneiderin schreckt nicht davor zurück.
    Du warst ganz bestimmt der einzige Junge im Gymnasium, der etwas von Stoffen verstand.
    Na ja, ich bin ja schließlich in Tüll herumgekrabbelt und habe auf Musselin herumgekaut. So gesehen steckt einem das einfach im Blut, inklusive Stecknadel.
    Dem Sohn der Schneiderin muss es nahegegangen sein, die Liebste in der Schafwolle von Sigríður zu sehen.
    Ich hätte dich fotografieren sollen.
    Eine Flugbegleiterin kam mit Decken und Kissen. Karl half Una, sich zuzudecken, und sie suchten sich mühsam eine Schlafposition.
    Er konnte seine Blicke nicht von ihrem Gesicht abwenden, während sich ihre sorgenvolle Miene entspannte und einem winzigen Lächeln wich. Dann war sie eingeschlafen – und im nächsten Moment stürmten neue Ängste und Zweifel auf Karl Ástuson ein. Was war er im Begriff zu tun?
    Er entführte seine große Liebe, die Frau eines anderen Mannes, Mutter von keinem Kind. Das war nicht das Problem, alles lief wie geschmiert, als wäre die Aktion bis ins Detail fachmännisch geplant worden.
    Nun aber stand das Nachspiel bevor – und das Problem bestand in nichts weniger als einem ganzen Leben, das vor ihnen lag. Was für eine Garantie gab es dafür, dass er Una überhaupt gefallen würde, ein neuer Mann in einer neuen Zeit? Seiner Meinung nach hatte er sich seit dem Gymnasium nicht verändert, aber seit wann konnte man etwas auf das geben, was ein Mann von sich selber hielt?
    Dass Una ihm nicht gefallen würde, war ausgeschlossen. Una war, wie sie immer gewesen. Er wusste, woran er mit ihr war. Sie war kristallklar, aber trotzdem nicht langweilig, transparent und berechenbar, wie immer sie das anstellen mochte.
    Genau da setzte der Zweifel an: War er der Mann für das heldenhafte Unterfangen, den Faden mit dieser Frau wieder anzuknüpfen? Und die schlimmsten Ängste waren bereits an die Oberfläche gedrungen und vergrößerten sich mit furchterregender Geschwindigkeit zu einem Eisberg mitten auf einer Schifffahrtsroute; wie würde es sein, mit seiner Jugendliebe jenseits des Meeres zu schlafen? Die Zeit rückte unerbittlich vor, die Stunde war bereits in Sichtweite.
    Du hast kalte Hände, sagte Una, die aufgewacht war und ihre Hand auf seine gelegt hatte.
    Das stimmte, diesem routinierten Liebhaber war schauerlich kalt bei der Vorstellung, dass er Una nicht befriedigen könnte, dass er nicht seinen Mann stehen, sondern das Liebesspiel in jeder Hinsicht so fürchterlich verpatzen würde, dass sie sich von ihm abwandte und im schlimmsten Fall den nächsten Flug zurück nach Island nahm.
    Als Una wieder an seiner Schulter eingeschlummert war, riss er sich am Riemen und stellte einen Dreistufenplan auf, während er die Frau fest im Arm hielt. Das gab ihm Kraft. Er würde:
    erstens)
    nichts aus irgendeiner Panik heraus übers Knie brechen. Keine Gelegenheit ergreifen, bevor Una nicht ganz sicher bereit wäre.
    zweitens)
    alles ganz langsam angehen, im Schneckentempo über eine Zeitbrücke aus siebzehn Jahren kriechen.
    drittens)
    sich vorstellen, sie wäre eine Liebhaberin, die er so behandeln würde, als sei sie Una. Um zu verhindern, dass überwältigende Gefühle die Durchführung beeinträchtigten.
    Er ließ sich den angebotenen Champagner und die Zeitungen reichen und starrte auf das
Morgunblaðið
, als käme es vom Mond. Hatte er sich vielleicht dort befunden, im Weltraum, am Silberstrand der Milchstraße, wo eine Frau namens Una im Sternenschiff zu ihm hingesegelt war? Sie hatte siebzehn Jahre gebraucht, um zum Ziel, um zu ihm zu gelangen; eine lange Reise, gemessen an der Dauer eines Menschenlebens – aber wie ein Augenzwinkern im Vergleich zur Ewigkeit.
    Er las drei Nachrufe hintereinander, während er sein Champagnerglas leerte. Lebende und Tote wurden bei ihren Kosenamen genannt, die teilweise wie Spitznamen klangen. Es tauchten beispielsweise die Zwillinge Robbi und Bobbi auf. Ein Nachruf las sich so, als würde man sich über den Verstorbenen lustig machen, einen

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