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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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gegen Morgen ein, sie wollten dem Schlaf nicht gestatten, zwischen sie zu treten. Immer wieder richteten sie sich ein wenig auf zu einem weiteren Kuss, tranken einen Schluck Wasser, legten sich wieder hin und umschlangen einander von Kopf bis Fuß, liebten sich mal halbwegs, mal ganz, ernst oder ausgelassen; und dann noch ein Glas Rotwein vor dem Einschlafen, noch einmal aufs Klo; Mandeln knabbern, noch einmal Zähne putzen, noch einmal duschen, noch einmal
Two Sleepy People
anhören und dabei flüstern wie unartige Kinder, die sich immer wieder etwas einfallen lassen, um nichts zu verpassen und auf keinen Fall einzuschlafen.
    Sie hielten sich auch im Schlaf bei der Hand, genau wie sie im Wald oder am Strand Händchen hielten. Sie schliefen bis lang in den Tag hinein wie Brüderchen und Schwesterchen, die sich im dichten Nebel oben auf den Bergen verirrt hatten, sich unter freiem Himmel ein Nachtlager bereiten mussten und erst gegen Morgen völlig erschöpft in Schlaf gefallen waren.
    Karl Ástuson, der von dem ersten Dienstag nach dem verlängerten Wochenende im August bis zu einer Februarnacht viele Jahre später nicht gewusst hatte, was Zukunft bedeutete – dieser Karl Ástuson ließ sich nun in der Zukunft nieder. Er versuchte mit aller Kraft, jeden Augenblick ganz und in sich vollkommen zu machen, wartete aber gleichzeitig auch darauf, dass er vorüber war, damit er die Erinnerung daran heraufbeschwören konnte, wie es aus Unas Augen leuchtete, wenn er ihr ein weiteres Mal leise erzählte, dass er immer an sie gedacht hatte, immer; niemals, an keinem einzigen von Gott geschenkten Tag, hatte er sie aus den Augen verloren – trotzdem hatte er sich aber nie vorstellen können, dass die Tage kommen würden, die jetzt gekommen waren. Sodass er nach dem Aufwachen immer einige Zeit brauchte, um sich zurechtzufinden: Das hier ist kein Traum, hier ist Una, hier ist das Leben, in einem irdischen Paradies nicht weit von Arles.
    Ansonsten sprachen sie in dieser ersten Woche nicht viel. Vielleicht mussten sie sich von all den ungesagten Worten in der langen Zeit erholen, in der Karl und Una vom Schweigen des anderen umgeben gewesen waren, wie Tote im Geiste. Wenn sie sich unterhielten, setzten sie die Worte so vorsichtig und gewählt, als übten sie sich in einer neuen Sprache und wollten keine Grammatikfehler machen.
    In Abwesenheit von Worten wurde stets und ständig Musik gehört, im Auto, im Wintergarten, im Schlafzimmer; sie schliefen bei Musik und wachten bei Musik, und sie musizierten auch selber. Diesbezüglich stellte Una Anforderungen, und sie zwang Karl zu mehr Musikausübung, als ihm lieb war. Sie hatte nicht die Geschichte vom Komponisten Karl Ástuson vergessen, und er musste sich bitte schön den Ja-Tango in Tönen und Worten in Erinnerung rufen.
    Dieser Tango war zum Geburtstag von Ástamama uraufgeführt worden. Karl hatte sich das Ganze abends in seinem Bett ausgedacht, wenn er die unentwegten JaJas und JaJaJaJas aus dem Wohnzimmer unten hörte, wo die Nähmaschine vorwärtsratterte; da war ihm eingefallen, er könnte seiner Mutter zum Geburtstag eine Freude machen, indem er aus all diesen Jas einen Tango komponierte – für Klavier, Violine, Klarinette, Nähmaschine und Sopran.
    Das Werk begann mit einem ganz leisen Ton auf der Klarinette, dem Geigentöne mit einem winzigen Ja folgten, unterstützt vom Klavier. Das wiederum erzeugte eine ganze Kette von Jas, bei denen die Nähmaschine (im Grunde genommen ein geistloses Krachmachgerät) wie ein Schlaginstrument zur Geltung kam. Und dann vermehrten sich die hohen Jas, wurden aber ganz zum Schluss von Klarinette und Geige übertönt, die sich mitsamt dem Klavier fröhlich und ausgelassen austobten. Auf einmal verstummte alles, bis der Sopran ein sachliches
Ja!
und die Nähmaschine ihr letztes Rattern von sich gab.
    Als Unas Applaus für die Leistung des Einmannorchesters endlich verklang, erzählte Karl ihr, dass seine Mama mit diesem Wort auf den Lippen aus der Welt gegangen sei, noch ehe jenes Geburtstagsjahr herum war. Das gehörte zu den Dingen, die zu traurig gewesen waren, um sie Una zu Es-war-einmal-Zeiten zu erzählen. Und jetzt erst beschrieb er ihr, wie seine Mutter ein einziges klares und helles Ja von sich gegeben hatte, bevor sie starb, etwa im Ton einer jungen Frau, die gerade das Haus verließ, vielleicht um in die Stadt zu gehen, und sich etwas in Erinnerung rief, was sie auf keinen Fall vergessen durfte.
    Er ging allerdings nicht auf

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