Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist
überprüfen, wer von Ihnen es geschafft hat, die Zahl zu vergessen, die ich vorhin an die Tafel geschrieben habe.«
Überall im Raum verhaltenes Lächeln.
»Heben Sie die Hand«, sagt er.
Die Hände gehen langsam in die Höhe, mit Ausnahme der Hand Jennifers – oder ist es Janet oder Jessica –, der Brünetten mit dem unbewegten Gesicht, die zu seinen Füßen sitzt und beim leisesten Hauch eines Misserfolgs am Boden zerstört ist, und die, entgegen der Stimmung des Augenblicks, jedoch im Einklang mit ihrer eigentlichen Natur, versucht, sich genau zu erinnern.
»Ich glaube Ihnen«, sagt er lächelnd. »Sie alle glauben, Sie hätten die Zahl vergessen. Doch Pech für uns, für Sie, denn gleich wird sich herausstellen, dass, ob wir eine Erinnerung abrufen können, zum Teil davon abhängt, wie wir sie abfragen. Nun lassen Sie mich für unsere Zwecke die Frage anders stellen, als Multiple Choice.
Die Zahl, die zu vergessen ich Sie gebeten hatte, lautet:
2
0,5
30
64381976217.«
Knarren und Stöhnen ist jetzt im Raum zu hören. Eric lächelt in sich hinein und zieht sich wieder in seine Schläfrigkeit zurück; Jennifer knirscht mit den Zähnen und empfindet die ganze Vorführung als eine geschmacklose, ja böswillige Übung. Der Junge mit der Krawatte in der dritten Reihe sitzt hoch aufgerichtet da; an seinem Gesicht ist nichts abzulesen, wie üblich, seine Hände liegen im Schoß.
»Ihre Note«, sagt der Psychologe, »werden Sie sich mit harter Arbeit und Fleiß ehrlich verdienen müssen. Doch hier haben wir die erste Lektion über die Natur des Gedächtnisses: Was Sie vergessen möchten, werden Sie möglicherweise nicht vergessen können. Was abgestorben scheint, schlummert möglicherweise nur. Andererseits möchten Sie sich manchmal an etwas erinnern, und es steht an der Schwelle Ihres Bewusstseins und weigert sich hervorzukommen. Sie wissen, dass Sie etwas wissen, den Namen irgendeiner nutzlosen Berühmtheit vielleicht, und es gelingt Ihnen nicht, den Namen aus Ihrem inneren Aquarium zu fischen. Dies illustriert ein kritisches Merkmal der Erinnerung, die, wie sich herausstellt, den meisten Prozessen des Inneren ähnelt: Ein und dieselbe Ursache wird regelmäßig verschiedene, sogar gegensätzliche Wirkungen hervorrufen.
Bitte beachten Sie: In der äußeren, physikalischen Welt mag ein bestimmtes Handeln lineare und vorhersehbare Ergebnisse zeitigen. Wenn man Ihnen mit einer hellen Lampe in die Augen leuchtet, erblinden Sie. Wenn man Ihnen auf den Kopf schlägt, werden Sie ohnmächtig. Wenn man das Feuer unter dem Kessel
anzündet, wird das Wasser erst kochen und dann verdunsten. Im Bereich des Inneren dagegen herrschen andere Regeln. Nehmen Sie den Begriff des Traumas. Gelegentlich sind die Einzelheiten eines traumatischen Ereignisses gelöscht oder verborgen, entweder weil eine eindeutige Erinnerung die Integrität des Selbst bedroht, so das Argument des heiligen Schlomo aus Wien, oder weil Stress im Allgemeinen die kognitiven Prozesse beeinträchtigt, wie Yerkes und Dodson gezeigt haben. Doch manchmal geschieht das genaue Gegenteil, und die Erinnerung an ein traumatisches Ereignis bemächtigt sich des Gehirns mit jedem einzelnen Detail wie ein lästiges Unkraut, das nicht ausgemerzt werden kann. Was würde jemand, der ein solches Schicksal erleidet, darum geben, diesen Schmerz, den Ursprung dieses Schmerzes, vergessen zu können? Doch vergebens. Jennifer«, wendet er sich an die angespannte Brünette vor ihm, »vielleicht nennen Sie uns ein Beispiel?«
»Ein Beispiel wofür?« Sie erstarrt auf ihrem Stuhl.
»Ein Beispiel für ein schmerzhaftes Erlebnis in Ihrem Leben, ein beunruhigendes Erlebnis, das Sie gerne mit uns teilen möchten, etwas Schmerzliches, das Ihre Gedanken fest im Griff hält und das Sie gerne vergessen möchten.«
»Ahhh … nun, ich bin verlobt, und wir planen eine Frühlingshochzeit, und es gibt so viel zu bedenken. Das Kleid, der Festsaal, die Band, die Gäste, die Sitzordnung. Das Essen. Und ich nehme Tanzstunden und mache auch eine Diät, um in dem Kleid gut auszusehen, das ich mir noch gar nicht ausgesucht habe, und die Blumenarrangements und die Kosten, das Budget … das alles würde ich gerne vergessen, und die Frisur, alles ist so teuer …« Ihre Stimme verliert sich.
Der Psychologe lächelt ihr herzlich zu: »Tatsächlich, ein Problem in einem wohlbekannten Sinne, doch es besteht
Hoffnung, denn auch dies wird vorübergehen; wie der Dichter Robert Frost sagte: Das Leben wird
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