Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist
werden; und kurz und bündig, sage ich. Vierzig Worte, zwanzig Sekunden, das ist die Zeit, die Ihnen zur Verfügung steht, um sich während der Therapie zu äußern. Was darüber hinausgeht, gehört in den Bereich des Redenschwingens; der Klient wird zu Ihrem Publikum, und Ihre Rede, selbst wenn sie auf inhaltlicher Ebene ausgezeichnet ist, wird auf der Prozessebene vom Klienten als ein Mangel an Aufmerksamkeit wahrgenommen, möglicherweise sogar als Versuch, etwas zu unterdrücken, oder als Unfähigkeit, Schweigen auszuhalten. Die Arbeit des Redenschwingens und der Verdunklung wollen wir, bei allem Respekt, der akademischen Welt überlassen«, sagt er und schlägt sich mit der Hand auf die Brust. »Und keine Ratschläge. Wenn ein Klient Rat sucht, schicken Sie
ihn ins Internet oder in die Bibliothek oder zu irgendeinem Bekannten, der freudig immer und zu allem seinen guten Rat anbietet. Nein. Die Menschen kommen nicht in die Praxis eines Therapeuten, um sich Rat zu holen oder sich Reden anzuhören. Und damit lautet die Frage, warum kommen sie eigentlich?«
»Freunde zum Mieten«, sagt Eric. »Mein Dad sagt, Psychologen seien Freunde zum Mieten.«
»Ihre Freunde sind in Ihr tägliches Leben eingebunden; Ihr Psychologe ist das nicht.«
»Aber trotzdem, der Psychologe hört zu«, sagt Eric. »Die Leute mögen es, wenn jemand sich ihren Scheiß anhört. Ihnen gefällt es, wenn wir zuhören, oder?«
»Sagen Sie das bitte noch einmal, ich habe das nicht richtig verstanden …«
Eric lacht.
»Aufmerksamkeit ist ein Teil davon«, sagt der Psychologe, »aber auch ein Hund hört zu. Und das kostenlos.«
»Aber ein Hund versteht nichts«, sagt das pinkhaarige Mädchen.
»Richtig. Menschliches Verständnis bedarf menschlicher Zuwendung. Doch Ihre Freunde verstehen Sie. Und auch Ihre Feinde. Uns fehlt ein grundlegendes Detail. Die Klienten sind auf der Suche nach einer Erfahrung. Was für eine Erfahrung suchen sie, Eric?«
»Erfahrung … Erfahrung«, murmelt Eric.
»Eine heilende Erfahrung«, sagt Jennifer dazwischen.
»In Ordnung«, sagt der Psychologe. »Da hat jemand seinen Lehrstoff gelesen. Aber was bedeutet das? Was ist das Heilende an einer heilenden Erfahrung?«
»Das hängt davon ab, was kaputt ist. Mein Auto braucht eine heilende Erfahrung am Vergaser«, sagt Eric.
»Konzentrieren wir uns auf die menschliche Erfahrung.«
»Sie sagten, wir seien Gebrauchtwagen.«
»Das ist eine Metapher, Eric, und es ist wichtig zu wissen, wann man schlafende Metaphern ruhen lassen soll. Jetzt überlegen Sie mal, was ist die elementarste Beeinträchtigung?«
Sie starren ihn schweigend an.
»Betrachten Sie Ihr eigenes Leben. Was ist das Charakteristikum Ihrer elementaren, alltäglichen Schwierigkeiten?«
»Ängste«, sagt Jennifer schließlich.
»Ängste sind ein Symptom wofür?«
»Anforderungen«, sagt sie.
»Anforderungen? Erklären Sie das näher.«
»Jeder will etwas von dir. Jeder urteilt über dich. Jeder.«
»Was wollen sie?«
»Meine Eltern wollen, dass ich im Studium erfolgreich bin, und mein Freund will, dass ich toll aussehe und entspannt bin, als ob das möglich wäre, wenn man im Hochzeitsstress ist; Sie wollen, dass wir lesen und uns vorbereiten und Ihre Fragen beantworten. Mein Chef im Restaurant will, dass ich die Tische schneller abräume und früh komme und immerzu lächle, egal, ob der Kunde ein anständiges Trinkgeld gibt oder nicht …«
»Tatsächlich«, sagt der Psychologe, »ist unser tägliches Tun durch permanente soziale Beurteilung gekennzeichnet und daher durch ständige Angst vor Zurückweisung, der was zugrunde liegt?«
»Die Angst vor Isolation, Einsamkeit«, sagt Jennifer.
»Ja«, sagt der Psychologe, »der Angst vor Isolation liegt was zugrunde?«
»Die Angst vor dem Tod?«, fragt Jennifer.
»In der Tat. Zurückweisung führt zu Isolation, und Isolation bedeutet Tod, sowohl körperlich, denn ein ausgesetztes Neugeborenes
stirbt innerhalb von achtundvierzig Stunden, als auch psychologisch, denn der Mensch ist ein Herdentier, ein soziales Wesen. Und hierin liegt das Geheimnis der therapeutischen Erfahrung: Akzeptanz, echte Akzeptanz, die im Gegenzug nichts fordert; volle Akzeptanz des Klienten, Warzen und Wunden und Verletzungen eingeschlossen. Eine solche Akzeptanz drängt die Angst vor dem Tod zurück, wenn auch vielleicht nur für eine Weile, für die Zeit der Therapie, wie der Lichtstrahl einer Taschenlampe jemanden beruhigt, der durch die Dunkelheit geht, ohne dass er
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