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Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Titel: Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noam Shpancer
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großen Kontinent in alle Winde zerstreut. Ihre Versuche, die geografische Trennung zu überwinden, wurden allmählich
schwächer und durch eine palliative, zärtliche Akzeptanz ersetzt. Es gelang ihm nicht, seine verlorenen Freunde zu ersetzen. Tiefe, erfüllende Freundschaft, das hat er gelernt, ist eines jener Unterfangen, das sich, wie Tanzen oder Computersachverstand, nicht für einen späten Anfang eignet.
    Das Spiel an diesem Abend läuft gut für ihn. Der Ball liegt angenehm in seinen Händen. Seine Füße sind leicht und flink, seine Bewegungen präzise und zeitlich perfekt koordiniert, als hätte er für eine magische Stunde die schwere Last seiner überflüssigen Jahre von sich abgeschüttelt. Einen Moment lang vergisst er die sich mehrenden Beweise für den bevorstehenden Verrat seines Körpers. Gegen Ende des Spiels läuft er erregt und schwer atmend auf den Korb zu, springt in die Luft, lässt den Ball in hohem Bogen auf den Korb zufliegen, und als er, erfüllt von einem süßen Gefühl des Gelingens, landet, tritt er versehentlich einem anderen Spieler auf den Fuß, verstaucht sich den Knöchel und stürzt mit einem unterdrückten Schrei zu Boden. Die anderen umringen ihn mit besorgten Gesichtern. Sie strecken ihm die Hände entgegen mit der wohlbekannten Mischung aus Mitgefühl und Ungeduld, darauf bedacht, in das Spiel zurückzufinden. Er sieht es und nimmt es ihnen nicht übel.
    »Ich bin in Ordnung«, sagt er. »Macht ohne mich weiter.« Er verlässt die Sporthalle und humpelt zu seinem Auto. Seine Muskeln schmerzen jetzt, als trieben sie eine ausstehende Schuld ein. Auf dem Rückweg zu seiner Wohnung sind die Straßen menschenleer, und in ihm taucht der Gedanke auf, dass er, wenn er wollte, weiterfahren könnte, an seiner Wohnung vorbei und über die Stadtgrenzen hinaus und die endlose Autobahn entlang, hierhin oder dorthin, wie es ihm gefällt. Er ist frei zu tun, was ihm gefällt, und die Straßen stehen ihm offen.
Weiter, wenn er das will, Richtung Norden, ein paar kurze Stunden über die flachen Straßen bis in eine andere Stadt, wo eine Frau wohnt und ihre Tochter mit den strahlenden Augen. Er könnte an ihre Tür kommen. Würden sie ihn nicht hereinlassen? Würden sie ihn nicht in die Arme nehmen? Wird nicht sein Herz singen bei ihrem Anblick, sich öffnen und sich mit Licht füllen? In seinem Kopf dreht sich alles. Manche Fragen sind ihre eigene Antwort. Das sollte er wissen, doch gerade jetzt weiß er es nicht. Er reißt sich zusammen, biegt an der Ampel rechts ab in die vertraute Straße, parkt, steigt aus dem Auto und humpelt zu seiner Tür.

28
    P unkt vier geht er ins Wartezimmer. Sie sitzt dort wie jedes Mal in der Ecke. Neben ihr ein unbekannter Mann, dünn und zierlich, mit grau meliertem, kurz geschnittenem Haar. Seine Schuhe glänzen blau. In der Hand hält er eine nicht angezündete Zigarette. Der Psychologe geht auf die beiden zu. Die Vier-Uhr-Klientin hebt den Blick, und er erkennt darin plötzlich einen Schatten. Sie steht auf. Der Mann neben ihr steht ebenfalls auf; er tritt rasch vor und streckt die Hand aus. »Hallo«, sagt er, »ich bin Bora.« Der Psychologe gibt ihm die Hand. Bora hält sie mit hartem Griff und lässt nicht los. »Sie sind also der Psychiater?«
    Der Psychologe nickt.
    »Wir müssen miteinander reden«, sagt der Mann leise.
    »Wir können einen Termin vereinbaren«, sagt der Psychologe und blickt zu Tiffany hinüber.
    »Jetzt«, sagt der Mann. »Wir reden jetzt. Zehn Minuten.«
    »Jetzt habe ich eine Verabredung mit Tiffany.«
    »Tiffany ist einverstanden«, sagt er und wendet sich ihr zu, »nicht wahr, Süße? Ich rede zehn Minuten mit dem Doktor, und dann machst du weiter. Ich bezahle.« Er klopft auf seine Tasche.
    Sie nickt und sieht den Psychologen an. »Es ist in Ordnung«, sagt sie, »ich warte hier.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja, ja, reden Sie mit ihm.«

    Der Psychologe nickt und führt Bora ins Sprechzimmer. Bora tritt ein und blickt sich mit versonnener Miene um, die Mundwinkel zu einem angedeuteten Grinsen verzogen. Er tritt ans Regal und nimmt die goldene Uhr in die Hand, untersucht sie genau, vor sich hin summend, dem Psychologen den Rücken zugewandt. Gerade erst hereingekommen, und schon führt er sich auf, als gehörte alles ihm, denkt der Psychologe unbehaglich. Er setzt sich und räuspert sich. Bora stellt die Uhr behutsam in das Regal zurück und dreht sich mit einer geschmeidigen, pirouettenhaften Bewegung auf dem Absatz um.
    Der

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