Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist
Psychologe deutet auf das Sofa: »Bitte nehmen Sie Platz.«
Bora setzt sich und wedelt mit seiner Zigarette: »Rauchverbot? « Er stellt die Frage und schiebt die Zigarette dann in seine Hemdtasche.
Der Psychologe wartet.
Sie starren einander an.
»Ich kann mit Ihnen keine klinischen Fragen diskutieren«, sagt der Psychologe. »Tiffany wird dafür ein Einwilligungsformular unterschreiben müssen.«
»Sie wird unterschreiben«, näselt Bora, »holen Sie sie herein, und sie wird unterschreiben.«
»So arbeite ich nicht. Ich muss mich unter vier Augen mit ihr treffen, allein. Eine unter Druck geleistete Unterschrift ist inakzeptabel, soweit es mich angeht.«
»Druck, welcher Druck? Warum …« Er wägt seine Worte ab, hält einen Moment inne, dann ein schlaues Lächeln. »Ich bin Geschäftsmann, Doktor. Wir beide haben dasselbe Interesse. Wir wollen beide, dass es Tiffany bessergeht.«
»Was wollten Sie mir sagen?«
»Einen Augenblick, Doktor, wozu die Eile?«, sagt Bora. Er lehnt sich auf dem Sofa zurück. »Ich brauche sie auf der Bühne. Sie ist mein Star. Sie hat das gewisse Etwas«, er setzt sich auf seinem Platz zurecht, »sie hat etwas, das den Kunden ein gutes Gefühl gibt, das Geld sitzt ihnen locker; das Geld«, er kratzt sich am Kinn, »ist nochmal eine ganz andere Sache. Ich verliere einen Haufen Geld, Doktor, und sie tanzt nicht. Ich würde sie nicht wieder auf der Straße sehen wollen. Ein Elend; so ein Talent. Aber ich führe ein Geschäft, verstehen Sie, Doktor, und dann ist sie außerdem … in letzter Zeit denke ich, dass sie nicht wirklich krank ist, verstehen Sie mich, Doktor. Woher wollen Sie wissen, was da drin vorgeht?« Er deutet auf seinen Kopf. »Sie hat kein Fieber. Sie blutet nicht. Sie sieht gesund aus. Ich bin kein Arzt oder so was. Ich bin Geschäftsmann, aber ich habe Augen im Kopf, als Geschäftsmann brauche ich Menschenkenntnis, wissen Sie, und ich glaube, sie hat vielleicht irgendwelche Ideen im Kopf …«
Der Psychologe nickt. Er spürt ein Brennen im Magen. Boras unverblümte Arroganz, sein Gebaren, seine Herablassung Tiffany gegenüber lösen bei dem Psychologen Wut und Unbehagen aus. Eine gewisse Feindseligkeit schleicht sich in seine Gedanken. Es gibt in der Welt keine Leerstellen, denkt er bitter. Nimm deine Hände weg, und jemand anders legt die seinen an diese Stelle. »Bei allem Respekt«, sagt er, einen Anflug von Zorn in der Stimme, »ihre Ideen sind ihre Sache, und weder ich noch sonst irgendjemand hat ein Monopol auf ihre Wünsche und Pläne. Sie ist eine erwachsene Frau und frei, sich zu entscheiden, wie es ihr gefällt. Vielleicht wünscht sie sich ein anderes Leben. Sie hat ein Recht, über das Jetzt hinaus zu denken, über Sie, Sir, vielleicht sogar über sich selbst hinaus – über andere, wenn sie das möchte. Ich bin kein Karriereberater,
und ich mische mich nicht in das Leben meiner Klienten ein. Wir konzentrieren uns auf ihre Bühnenangst, doch alles hängt miteinander zusammen, und es gibt immer unerwartete Konsequenzen. Was wollen Sie von mir?«
»Ja. Ja«, sagt Bora, und für den Bruchteil einer Sekunde wird sein Blick hart, und ein unfreiwilliger Tic zuckt über sein Gesicht. »Ich sage nur, wenn sie krank ist, dann heilen Sie sie. Das ist alles. Es ist wirklich wichtig. Tun Sie Ihre Arbeit, Doktor. Bringen Sie sie so weit, dass sie wieder auf die Bühne kann. Dann hat jeder etwas davon, nicht? Sie wollen nicht, dass sie wieder auf der Straße landet. Im Club hat sie Arbeit, Geld, nicht wahr? Sie steht unter Schutz. Niemand tut meinen Leuten etwas, verstehen Sie. Bei mir ist sie ein Star, ja? Ich habe sie von der Straße aufgelesen. Sie war damals nichts im Vergleich zu heute. Ich habe sie aufgelesen, sie von den Drogen weggebracht, mich um sie gekümmert wie um mein eigenes Kind, ja?«
29
V ormittag. Der Psychologe sitzt in seinem kleinen Arbeitszimmer über seine Tastatur gebeugt; das Bild eines Kindes taucht auf dem Bildschirm auf, mit offenem Gesicht und glänzenden Augen, einen pinkfarbenen Teddybären im Arm. Er starrt es lange an, sein Atem geht mühsam, er beißt sich auf die Unterlippe, lehnt sich in seinem Stuhl zurück, und dann steht er plötzlich auf und verlässt eilig das Zimmer.
Er fährt bei Stille. Das Radio ist ausgeschaltet. Es schneit heftig. Die Scheibenwischer streichen träge über die Windschutzscheibe. Große Lastwagen pflügen durch den schmutzigen Schnee, rasen rechts und links an ihm vorbei. Er hält das Lenkrad mit
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