Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist
folgen. Nina bewegt sich vorsichtig, leicht nach vorn gebeugt, die Hände seitlich ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten. Beim Anblick ihres Körpers
läuft ihm ein Schauder das Rückgrat hinunter; Sehnsucht und Klage wirbeln in ihm durcheinander wie Musik. Er steigt aus dem Wagen, geht an den Rand der Eisfläche und stellt sich unter einen kahlen Baum, die Hand an die Stirn gelegt, um seine Augen gegen die Sonne abzuschirmen. Billie tanzt herum, läuft Kreise und Achten, wedelt mit den Armen, während sie leichtfüßig dahingleitet und immer schneller wird; sein Herz gleitet mit ihr, und er sagt lautlos: Pass auf, kleines Mädchen. Vorsichtig. Fall nicht. Vorsicht, meine Kleine. Nina kommt heran, sie bückt sich und nimmt die Kleine in die Arme, und sie machen beide kehrt und fallen lachend auf das Eis. Er tritt unbewusst vor. Eine Gruppe Jugendlicher läuft auf Schlittschuhen an ihm vorbei, die Hockeyschläger im Anschlag, auf der Jagd nach einem verirrten Puck, sie rempeln sich gegenseitig unter mächtigem Krawallgetue an. Als er erneut aufblickt, sieht er Nina wie erstarrt dort stehen und ihn anstarren, einen ungläubigen Ausdruck auf dem Gesicht, das Mädchen an ihre Knöchel geklammert. Er steht still; er empfindet weder Reue noch Furcht. Nur Ruhe, eine gnädige Ruhe umfängt ihn, umfängt die beiden Gestalten, die auf ihn zugleiten, die rüpelhaften Jungen in der Ferne, den ganzen glitzernden Teich. Er wartet. Nina und Billie, Hand in Hand, stehen jetzt vor ihm. Schweigen.
Nina nimmt sich zusammen: »Du bist es wirklich.«
»Ich bin es wirklich.«
»Ich kann es nicht glauben. Was machst du hier?«
»Ich«, stottert er, »das ist eine gute …«
»Ist alles in Ordnung?«
»Ahh …«
Sie sieht ihm in die Augen, und ihr Blick gleicht einer Leinwand, auf der zu viele Farben gemischt wurden, bis ein schmutziges Grau entstand. Sie wendet sich an Billie, die die ganze
Zeit damit beschäftigt war, einen widerspenstigen Handschuh zurechtzuzupfen: »Hey, Billie, das ist ein Freund von mir, von der Universität.«
»Hallo.« Das Mädchen wendet ihm seinen leuchtenden Blick zu.
»Hey, Billie«, sagt er und geht vor ihr auf die Knie. Er streckt die Hand aus, um ihr über die Locken zu streichen. Plötzlich dreht sich alles in seinem Kopf, und sein Atem kommt zum Stillstand.
»Hallo, Liebes.« Eine tiefe Stimme rollt von der anderen Straßenseite zu ihnen herüber. Sie drehen sich um und sehen einen großen, mageren Mann, ein wenig gebeugt, der auf einen hölzernen Stock gestützt auf sie zukommt. »Liebling«, ruft Nina und winkt ihm zu.
»Daddy«, ruft das Mädchen. Sie gleitet auf ihn zu, doch als sie in seine Nähe kommt, verlangsamt sie und umarmt ihn vorsichtig.
»Sonnenschein«, sagt er, »mein Sonnenschein.«
»Mach das nicht kaputt«, flüstert Nina dem Psychologen zu; ihre Stimme zittert.
Der magere Mann und das Mädchen kommen näher. Sie sehen einander an. Nina stellt ihn vor, ein Freund von der Universität. Der magere Mann streckt die Hand aus, und der Psychologe schüttelt sie.
»Ja«, sagt er, »das ist Jahre her. Ich bin gerade in der Stadt.« Er sieht sich um. »Ich bin tatsächlich zum ersten Mal hier, am Krankenhaus findet eine Konferenz statt, eigentlich ein Workshop, zur Psychologie der Entscheidungsfindung oder so ähnlich. «
»Klingt langweilig«, sagt Nina.
»Das hängt von den Entscheidungen ab, schätze ich«, sagt
der Psychologe. »Wie auch immer, ich bin für eine kurze Pause hinausgegangen, um nach drei Stunden Herumsitzen einmal durch die Stadt zu gehen, und plötzlich, wer hätte das gedacht? Die Welt ist klein, wie man so schön sagt. Da höre ich dieses vertraute Lachen; es ist schwer, sich in diesem Lachen zu irren, und – tatsächlich.«
»Wie viele Jahre ist es her? Vier, fünf? Du hast dich nicht verändert«, sagt Nina.
»Du auch nicht, aber ich sehe, einiges hat sich verändert.« Er deutet auf das Mädchen. Nina nimmt sie lächelnd in den Arm.
»Ja, und du?«
»Ich bin noch nicht so weit.«
»Wie war es in der Physiotherapie?«, wendet Nina sich an ihren Mann.
»Ganz gut«, er ringt sich ein wehes Lächeln ab. »Physiotherapie«, nickt er dem Psychologen zu. »Manchmal ist die Reparatur schmerzhafter als der Zusammenbruch. So ist es mit dem Körper. Wie ist das bei euch, mit der Seele?«
Der Psychologe lächelt in sich hinein. »Bei uns ist nicht immer ganz klar, was die Reparatur ist und was der Zusammenbruch. «
Sie lächeln.
»Wir sind auf dem
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