Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Titel: Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noam Shpancer
Vom Netzwerk:
vom Geschehen untersuchen. Ein Vorgehen, das einen voranbringt, ist ein Wert an sich, ungeachtet des Ergebnisses. Ein solches Vorgehen garantiert kein gutes Ergebnis, ermöglicht es aber. Ein Vorgehen, das nicht voranbringt, kontaminiert jedes Ergebnis. Wenn Sie durch Lug und Trug etwas erreichen, dann kontaminiert Ihr Betrug den Gewinn, eigentlich macht er ihn zunichte. Wenn Sie ihn sich ehrlich und fair verdient haben, dann haben Sie etwas, das wahrhaftig Ihnen gehört. Und wenn Sie nichts bekommen haben, ist Ihre Integrität an sich eine Errungenschaft.«
    »Ich muss Michelle zurückbekommen.«
    »Um jeden Preis?«
    »Um jeden Preis.«
    »Betrachten wir die Fakten. Sind Sie sicher, dass er belastende Beweise gegen Sie hat?«
    »Ich weiß es nicht, wahrscheinlich. Am Anfang bin ich ein paarmal ins Straucheln gekommen, ich war süchtig, Kunden kamen, Sie verstehen, Doktor …«
    »Bitte seien Sie präzise.«
    »Ich wurde für Oralsex bezahlt. Blowjobs. Ist Ihnen das präzise genug? Hat er das auf Video aufgenommen? Er sagte, er habe es getan. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Es wäre ihm zuzutrauen. Ihm ist alles zuzutrauen.«
    »Und was jetzt?«
    »Ich brauche Geld. Ich muss tanzen. In einem Jahr habe ich genug. Ich habe einen Plan, Doktor. Ich bin nicht dumm. Aber jetzt … diese Schlange …« Sie vergräbt ihr Gesicht in den Händen. »Ich weiß es nicht.«

    Nach der Sitzung, nachdem Tiffany gegangen ist, bleibt der Psychologe in seinem Sprechzimmer sitzen. In seinem Magen rumort es. Er lehnt sich in seinem Sessel zurück und lässt sich sein Dilemma durch den Kopf gehen: Soll er ein Geständnis ablegen oder nicht? Einerseits ist es nicht zwingend, dass sie erfährt, wie Bora von ihrer Tochter erfahren hat. Und es ist unwahrscheinlich, dass Bora selbst etwas sagen wird. Und selbst wenn er es tut, könnte der Psychologe es abstreiten, und sie würde ihm wahrscheinlich glauben. Die Frage, die sich ihm, die sich ihnen stellt, ist, wie mit der neuen Situation umzugehen ist. Würde es ihr nützen, wenn sie wüsste, dass er die Quelle war? Diese Information würde lediglich ihre Gefühle ihm gegenüber komplizieren. Wahrscheinlich würde sie wütend werden. Vielleicht würde sie ihre Hilflosigkeit und Wut auf ihn projizieren, ihm für ihr Versagen, das Mädchen zurückzugewinnen, die Schuld zuweisen. Vielleicht wird sie sich in einem Gefühlsausbruch dafür entscheiden, die Behandlung abzubrechen. Vielleicht wird sie bei der örtlichen Standesvertretung Beschwerde einreichen; professionelle Fahrlässigkeit, Preisgabe vertraulicher Information ohne Einwilligung des Klienten; eine ernst zu nehmende Kompetenzüberschreitung, die einer Untersuchung bedarf, was zu einem Makel führen könnte, einem Schatten auf seiner Akte und seiner Reputation. Es ist legitim für den Psychologen, sich selbst und seinen guten Ruf zu schützen, besonders dann, wenn ein solcher Schutz sich mit den Interessen des Klienten deckt – und liegt es nicht in ihrem Interesse, mit der Therapie bei ihm weiterzumachen? In einer Atmosphäre des Vertrauens, die sie geschaffen haben? Nach dem ganzen Weg, den sie bereits gemeinsam zurückgelegt haben? Angesichts ihres wachsenden Bewusstseins von sich selbst und ihrer eigenen Kraft? Ist es richtig, diesen konkreten Prozess,
der in seinem Kern immer noch gesund und produktiv ist, für die Enthüllung einer Wahrheit zu opfern? Deren Verbergen dem Prozess, in dessen Verlauf sie gewonnen wurde, keinerlei Abbruch täte?
    An dieser Stelle braucht er Ninas Hilfe. Er legt die Hand auf das Telefon und erstarrt. Sie haben eigentlich nicht mehr miteinander gesprochen seit jenem halluzinatorischen Besuch, seit er dorthin gefahren ist und sich ihr gezeigt hat, vermeintlich zufällig. Geh hin und erzähle das Freud und seinen Truppen. Sie hat seither nicht mehr angerufen, keine E-Mail geschickt. Aber hier sprechen wir über ein professionelles Problem. Und über die Zukunft des Klienten, vielleicht auch über seine eigene berufliche Zukunft, beide sind hier in der Schwebe. Sicherlich können sie ihre professionelle Beziehung, die immer noch fruchtbar und intakt ist, von der persönlichen trennen, die getrübt und befleckt ist. Er ruft sie an. Eine Stimme sagt: Ich bin gerade nicht am Platz. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht. Ich rufe Sie so bald wie möglich zurück. Er zögert eine Sekunde und sagt dann: »Hey, ich bin’s. Ich brauche einen Rat in dem Fall mit der Stripperin. Es ist dringend. Rein

Weitere Kostenlose Bücher