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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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»Berjoska«-Geschäfte, wo dänisches Bier, Kreml-Würstchen und amerikanische Zigaretten verkauft wurden. Es war wie in Westberlin während der Blockade, und als meine Eltern endgültig aus Paris zurückkehrten, warfen sie uns, erschüttert über die Menge unserer Kontakte zu Ausländern und die moralische Verdorbenheit ihres jüngeren Sohns, am ersten Abend aus dem Haus.
    Wir zogen als Untermieter von einem Eckchen zum nächsten. In einem dieser Eckchen, bei unserem Freund Wassja Grebenjuk auf der Shdanowskaja, wo unter dem Fenster das Klopfen der in Richtung Osten abfahrenden Züge zu hören war, produzierten wir unseren Sohn. Im Sommer fuhren meine Frau und ich nach Polen, das für viele Jahre mein einziges westliches Ventil war. Während unter hundert fabelhaften russischen Menschen jeder Dritte bereit gewesen wäre, meine Gedanken zu teilen, verhielt es sich in Polen genau umgekehrt. Vater wurde sehr bald nach Wien geschickt. Meine Frau und ich mieteten weiterhin irgendwelche Eckchen. Schließlich ließen wir uns in der Nähe des Wagankowo-Friedhofs in den eigenen vier Wänden nieder. Wenn meine Eltern nach Moskau kamen, ähnelten die Familienessen immer mehr absurdem Theater. Narym tauchte irgendwie gleich aus dem Fluss und dem Nebel auf. Es war Ende August. Narym war berühmt als Stalins Verbannungsort. Hohe Trottoire aus Holz auf angefaulten Pfählen und eine Aufschrift am lehmigen Ufer des Ob: »Blühe, meine Heimat!«
    Die Heimat blühte. Vom Flugzeug sah die Heimat menschenleer aus wie die Wüste Gobi. Ich dachte darüber nach, dass es Stalin hier wahrscheinlich kalt gewesen war: Im August bedeckten sich die Pfützen mit einer Eisschicht.
    STALIN Mistwetter.
    Ich saß am Fenster der Hütte von Oma Valja, pulte den polnischen Schinken in Gelatine aus der großen Konservendose, die Wiesława und ich aus Moskau mitgebracht hatten. Morgens ging ich in die Taiga, abends zum Tanz, wo Salvatore Adamo sang, dem ich dermaßen ähnlich sah, dass mich einmal in Leningrad, wo der Sänger ein Gastspiel gab, seine Frau mit ihm verwechselte. Das gutherzige sibirische Volk lebte hinter hohen Zäunen. Nachts ertönten Schüsse aus Jagdgewehren – das waren Kerle, die ihre Frauen und Töchter durch die Gemüsegärten scheuchten – nie fragte jemand, was da los sei. Manchmal rann Kondensmilch übers Trottoir – es hieß, das sei ein Geschenk von Stalin. Ich aß mitten auf dem Ob zusammen mit den Fischern rohen Sterlet und trank Wodka dazu.
    »Wie wär’s, wenn wir quer über den Ob ein Schild hängen: Vorsicht, Betrunkene!«, scherzten sie.
    Ich jagte Enten im Sumpf, fürchtete mich, in der Taiga auf einen Bären zu treffen, schwitzte in der verdreckten Banja. Ringsum fabelhafte Menschen: starke Kerle, Schwarzarbeiter, Kindermörder, Mädchen mit Zedernnüssen, übrig gebliebene verbannte Polen, Milizionäre, örtliche Ganoven. Im Stalin-Museum spielte eine Laientruppe die Drei Schwestern .
    »Oma Valja, ähm, also, diese Kondensmilch …«
    »Ein Geschenk von Stalin.«
    »Verstehe. Wo kommt sie her?«
    »Was weiß denn ich!«
    Wer erinnert sich nicht an die Kondensmilchdosen mit dem blauen Etikett? Man konnte die süße dickflüssige Milch auf Schwarzbrot streichen, in den Kaffee tun oder einfach wie einen Plombenzieher mit einem Teelöffel direkt aus der Dose essen, aber wie vorsichtig man auch war, eine Spinnwebe aus weißen Kondensmilchfäden bedeckte schließlich doch das Äußere der Büchse – und da trat die Zunge in Aktion. Die Kondensmilch war der Energizer des Landes, das Allheilmittel der Nation, das Glück der Kinder und Soldaten. Warum strömte sie in Narym als klebriger Fluss übers Trottoir? Woher? Wohin? Oma Valja schwieg, die Lippen auf Altfrauenart zusammengepresst, auf dem Ofen sitzend; ich dachte darüber nach, dass der Zufall, die gute Botschaft aus dem modernen Westen, ins Absurde führte und der russische Fatalismus zu einem Marionettentheater. Aus dem Fatalismus ergab sich, dass ich nicht selbst lebe, sondern gelebt werde, aus dem Zufall ergab sich überhaupt nichts. Die Geschichte mit der Kondensmilch entstand in meinem Kopf auf der Suche nach einer wundertätigen Versöhnung mit der russischen Wirklichkeit. In meinen geliehenen Segeltuchstiefeln in der Kondensmilch ausrutschend, am Trottoir von Narym festklebend, befand ich mich an der Grenze der nationalen Genesung. Ach, du meine liebe Kondensmilch …
    *
    Alles endete damit, dass Vater 1979 auf dem Höhepunkt seiner Karriere, in Erwartung

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