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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Gastgeberin. »Der Sohn von Lunatscharski!«
    Alle: Oooh! Der Fotograf schickte sich an, alles der Reihe nach abzulichten, als fühlte er hinter sich die Kraft des väterlichen Narkompros. Doch die Furzewa verscheuchte ihn rasch wie ein lästiges Haustier.
    FURZEWA Schon gut, gehen Sie, gehen Sie …
    Man setzte sich zum Essen. Lakaien servierten warme Brötchen. Die Gäste strichen sich mit silbernen Messern Kaviar darauf. Mich würde man gleich nach den ersten Lauten einer unverständlichen Übersetzung mit Schimpf und Schande vom Tisch entfernen, doch da erschien in letzter Sekunde der persönliche Dolmetscher der Furzewa, ein junger Mann mit geschliffenen Kreml-Manieren und einem Köfferchen für die Aufzeichnung des Gesprächs, und ich durfte als Beobachter sitzen bleiben, mit dem Spiegelsplitter aus Andersens Märchen im Auge. Die Furzewa packte das Gespräch wie den Stier bei den Hörnern. Man spürte, dass sie das konnte und liebte. Zuerst einmal zog sie über die Engländer her, die gerade eben eine Unzahl von sowjetischen Spionen des Landes verwiesen hatten. Die Plissezkaja schaltete sich in den Monolog der Ministerin ein und sagte mit dem berühmten Lächeln der hoch emporgeschwungenen Ballerina, dass sie empört sei und das Gastspiel in London absagen werde. Die Franzosen dachten nicht daran, London zu verteidigen. Die Furzewa stürmte voran und versetzte der Tschechoslowakei einen Schlag. All das trug sich zu im Jahre 1971 , und die Gemüter hatten sich noch nicht beruhigt. Die Furzewa sprach mit großer Überzeugung vom Nutzen der militärischen Invasion in Prag, führte heuchlerische Argumente dafür an, und ich beobachtete mit Befremden, wie unser großer französischer Freund leutselig und gehorsam, bei Bouillon mit kleinen Teigtaschen, der Furzewa nach dem Mund redete. Die Furzewa hatte das offenbar selbst nicht erwartet. Von Zeit zu Zeit sah sie mich an, als überlegte sie, was mit mir weiter zu tun sei. Doch die ganze Idylle verdarb schließlich der Botschafter.
    »Gestatten Sie mir, Ihnen nicht zuzustimmen, Madame le ministre «, begann Seydoux, der rechter Hand von der Furzewa gekrümmt auf einem Kreml-Stuhl saß.
    »Sie stimmen mir nie zu«, sagte die Furzewa und wedelte ungeduldig mit ihrer Serviette in der Luft herum.
    Das freundschaftliche Mittagessen war verdorben. Falls jemand findet, dass sich die Menschen im Laufe ihres Lebens nicht verändern, dann ist Druon ein Beweis dafür. Zu Beginn des folgenden Jahrhunderts begegnete ich ihm wieder bei einem offiziellen Anlass – diesmal in der Residenz des französischen Botschafters am Oktober-Platz. Druon strahlte; eben erst hatte er bei Putin gespeist. Eine seltsame Kombination.
    Meine chaotischen politischen Beziehungen in Paris endeten mit dem Unausbleiblichen. Irgendjemandem missfiel das. Axjonow, der sich zu dieser Zeit bereits aus einem unerreichbaren Idol, literarischen Ruhestörer und Autor von Fahrkarte zu den Sternen in meinen älteren Freund mit dem unvergesslichen Gesicht eines Boxers und einen fröhlich trinkenden Abenteurer verwandelt und mit einer Widmung in seinem Buch meinem »Talent« einen Vorschuss gegeben hatte, lachte, die Nase rümpfend, und schnaubte.
    AXJONOW Für dich ist es leichter, nach Paris zu fahren als nach Tula.
    1972 ließen meine Eltern, nachdem sie mich zum letzten Mal nach Paris eingeladen hatten, den Eisernen Vorhang vor mir herunter.
    *
    Mama hatte immer zu mir gesagt, in der russischen Provinz würden fabelhafte Menschen leben. Ans Reisen gewöhnt, konnte ich nicht mehr aufhören: Ich begann »nach Tula« zu fahren. Ich hockte tagelang im »Haus der Schriftsteller«, was der böse kleine Geschäftsführer Arkaschka verhindern wollte, aber ich gelangte über die Hintertreppe und durch die Küche hinein, wo in hohen Kesseln Liberale und KGB ler vor sich hin köchelten, wo Huhn nach Kiewer Art und Beefsteak à la Suworow zubereitet wurden, und Mama sagte zu mir, als sie aus Paris nach Moskau kam, in der Provinz würden fabelhafte Menschen leben – teilnahmsvolle. Ich glaubte ihr. Ich suchte nach fabelhaften Menschen, aber die Zeit war knapp: Ich musste meine Dissertation zum Thema »Dostojewski und der französische Existenzialismus« schreiben, mit Wosnessenski die Probleme der Extremluftfahrt diskutieren, meinen kleinen Bruder erziehen, den die Eltern mir und meiner Frau für volle fünf Jahre überlassen hatten. Zur Belohnung bekamen wir Päckchen mit Obst, Talons ohne Streifen für die

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