Der gute Stalin
spät in der Nacht am alten Neujahrsfest 1980 auf Achmadulinas Datscha in Peredelkino. Wir unterstellten einander unsaubere Absichten und hätten uns beinahe gegenseitig umgebracht.
Metropol seinerseits brachte die sowjetische Literatur um. Erdacht von mir, zusammengesetzt von uns allen, den »Metropolzen«, riss die Bombe die sowjetische Literatur in Stücke. An ihrer Stelle begann eine andere Literatur zu enstehen. Metropol war ein Vorbote der russischen Freiheit.
1989 organisierten wir zum zehnten Jahrestag von Metropol eine Aufsehen erregende Präsentation der ersten Moskauer Ausgabe des Almanachs.
1999 feierten wir zum zwanzigsten Jahrestag von Metropol mit Sekt und Tanz im Atelier von Messerer, wo auch gleich eine Fernsehdokumentation zur Geschichte des Almanachs gedreht wurde.
Im Januar 2004 beschrieben Presse, Rundfunk und Fernsehen groß und breit die historische Bedeutung von Metropol , der 25 Jahre alt geworden war. Doch »unseren« Feiertag gab es nicht mehr. »Wir« hatten uns aufgelöst und in eine Legende verwandelt. Nur Bitow und ich – wir saßen gerade bei mir zu Hause zusammen – stießen mit Tequila auf die guten alten Zeiten an.
Zum letzten Mal kehre ich ins Metropol -Jahr zurück. Einmal sagte Vater zu mir, nicht ohne sich zu genieren:
»Es gibt nur einen Menschen, der mich retten kann. Das bist du.«
Er bat mich, einen Brief an Breshnew zu schreiben, keinen Reuebrief, sondern einen in dem Sinne, dass »der Vater für den Sohn nicht verantwortlich zu machen« sei. Ich schrieb an den Generalsekretär des ZK der KPdSU (»Lieber Leonid Iljitsch«), dass es mir unerträglich sei, meinen Vater arbeitslos zu sehen, und wenn sich die Situation nicht ändere, wisse ich nicht, was ich mir antue – das heißt, ich hänge mich auf.
Ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte, dass der Brief auch seinen Adressaten erreichte, darum nutzte ich meine toten Beziehungen aus der Zeit der »goldenen Jugend« und rief an der Staraja-Ploschtschad einen von Breshnews Referenten an.
»Ich muss einen Brief übergeben«, sagte ich.
»An wen?«
Vor Aufregung antwortete ich, ohne es selbst zu wollen, wie es dissidentischer gar nicht ging:
»Leonid Breshnew.«
Im Hörer kaltes anhaltendes Schweigen. »Leonid Breshnew« wurde er in den Nachrichten der ausländischen Rundfunksender genannt. Ich hatte keine Chance. Doch als der Referent sich ausgeschwiegen hatte, sagte er:
»Bringen Sie den Brief in die Poststelle auf der Staraja-Ploschtschad.«
Er erklärte, wie und wohin.
»Danke.«
Es kam keine Antwort von der Staatsmacht. Die Zeit verging. Mir war, zugegeben, nicht gerade wohl zu Mute. Anfälle von seltsamer Zerstreutheit begannen, ich konnte mich nicht mehr ans Steuer setzen – ein Schwindelgefühl machte mir zu schaffen. Ich wusste tatsächlich nicht mehr, was ich mit meiner Drohung, meiner persönlichen Erpressung tun sollte. Wann sollte ich mich aufhängen: in einer Woche, in einem Monat? Von Zeit zu Zeit, wenn ich mich morgens im Spiegel ansah, betastete ich meinen suizidalen Hals. Ist es so weit?
Endlich erlöste mich die Staatsmacht von meinen Zweifeln. Nach dem Willen Breshnews ordnete Gromyko an, Vater in den zentralen Apparat des Außenministeriums am Smolensker Platz aufzunehmen. Vater musste unterschreiben, dass er (der Diplomat!) sich nicht mit Ausländern treffen werde. Er bekam eine einzigartige, eine kafkaeske Zwangsarbeit zugeteilt. Jeden Tag um neun Uhr betrat er sein Arbeitszimmer, um auf dem Schreibtisch lediglich die neueste Ausgabe der Prawda vorzufinden. Die Übereinstimmung mit der Flugbahn Molotows war eine merkwürdige Grimasse des Schicksals. Er saß an einem leeren Schreibtisch und sah sowjetische Zeitungen und TASS -Meldungen durch. Andere Materialien bekam er nicht. Molotow hatte übrigens vor seiner Pensionierung denselben Posten wie mein Vater in Wien. Als er Molotow das letzte Mal in Shukowka begegnete, fragte jener:
»Na, Jerofejitsch, wie geht’s?«
»Ich bekomme Ihren Posten.«
»Wie das?«
So eben. Ohne Eile kaute er auf dem grünen Tuch des Eichenschreibtischs die hämorrhoidalen Trauben der Parteinachrichten durch. Er erhielt ein anständiges Gehalt.
»Wladimir Iwanowitsch, möchten Sie einen Tee?«
Er hatte eine eigene Sekretärin.
»Danke, Assja.«
Und weiter nichts. So ging das einige Jahre.
An den Wochenenden spielten wir allerdings Tennis. Das Turnier zog sich hin – denn wir lebten ja nun in einem Land. Ich hatte keine Angst mehr, gegen ihn zu
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