Der gute Stalin
mit einem Grundinstinkt für den eigenen Vorteil zu erklären. Ihre Frage war damals allerdings, als ich beschloss, in den Schriftstellerverband einzutreten, tatsächlich am Platze. Ich habe noch den Mitgliedsausweis aus der Sowjetzeit: ein rotes Saffianbüchlein mit der Abbildung des Lenin-Ordens vorn drauf, der Auszeichnung der Sowjetunion für Verdienste vor der Partei. Wozu sollte ich in diesen Verband eintreten? Die Dissidenten (die sich teilweise auf die maßgebliche Meinung von Nadeshda Mandelstam beriefen) fanden, das sei schändlicher Kollaborationismus. Ideologisch gesehen, hatten sie offensichtlich Recht; ich jedoch begriff den Verband eher unideologisch als Zusatz zu den Kommunikationsmöglichkeiten im Clubrestaurant. Der Eichensaal wurde zu der Zeit noch von den »Sechzigern« regiert. Sie waren die Herren im süßen Schriftstellerleben und in der Boheme-Atmosphäre. Jenen Verband, der Schriftsteller umgebracht hatte, kannte ich nicht, denn ich hatte keine genetische Verbindung dazu. Natürlich irritierten mich die weißen Buchstaben auf rotem Grund im Foyer: »Die Schriftsteller sind die Gehilfen der Partei.« Aber dergleichen Losungen, wie sie überall im Land hingen, hatten zu meiner Zeit bereits ihren Sinn eingebüßt und waren zu Breshnewschen Klischees verkommen. Wenn ich zwischen zwei Samisdat-Frauen zu wählen hätte, dann gefielen mir am besten die Gedichte von Jewgenija Ginsburg. Sie suchte bisweilen Axjonow zu bewegen: »Na, schreib schon was für sie!« Die Selbstisolierung der Dissidenten führte eher zu Sektiererei als zu freiem Schöpfertum. Zudem war die Selbstisolierung erzwungen. Der Beitritt zum Schriftstellerverband war ein Ausdruck meines Infantilismus, das heißt meiner Selbstbestätigung: Wenn ich im Schriftstellerverband bin, bin ich also auch Schriftsteller. Unüberlegterweise stand ich auf der Seite der gemäßigten Mehrheit, die meinte, dass der Verband in erster Linie ermögliche, Bücher zu veröffentlichen und einer großen Leserschaft bekannt, also berühmt zu werden. Braucht der Schriftsteller den Ruhm? Es gibt wenige Schriftsteller, die fähig sind, würdig der Versuchung des Ruhms zu widerstehen, aber noch weniger, die sein Fehlen mit Würde ertragen. Alle bedeutenden Schriftsteller waren im Verband, eine gewisse Zeit auch Solshenizyn. Die Mitgliedschaft war ein Schutzbrief: Man konnte auch ohne gedruckt werden, aber ein ehernes Gesetz verbot, dass aus dem Verband Ausgeschlossene veröffentlicht wurden. Die bejahrte Sekretärin der Sektion Kritik, die Mitleid mit meiner Jugend hatte, umarmte mich im Eichensaal:
»Na, das ist für immer.«
Sie meinte den hohen sozialen Status: der Passierschein für das Clubrestaurant – den Eichensaal, der in ganz Moskau für seine illustren Gäste bekannt war, seine Fischvorspeisen und Kalatschi, Arbeits- und Urlaubsaufenthalte in Schriftstellerhäusern, eine spezielle Poliklinik, Lebensmittelsonderzuteilungen einschließlich der Mangelware Kaviar zu den Feiertagen, Vortragsreisen durchs Land und sogar Auslandstourismus. Wenn man von einem Milizionär wegen Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten wurde, brauchte man ihm nur den Schriftstellerausweis zu zeigen, und er entließ einen ungestraft. Der Schriftsteller besaß ein hohes Prestige. Die Staatsmacht kaufte die Schriftsteller, aber ihr liberaler Teil tat nur so, als würde er sich kaufen lassen. Sie zogen den Eichensaal ideologischen Versammlungen vor und benutzten ihren Status für vollwertige Ernährung, Kommunikation und geheimen Widerstand gegen das Regime.
Die Sekretärin hatte den bösen Blick. Ich stellte den Rekord der kürzesten Mitgliedschaft im Schriftstellerverband seit seiner Gründung im Jahre 1934 auf. Ich kam nicht dazu, mich über das Erscheinen meiner Bücher zu freuen oder die Vorzüge eines Schriftstellerhauses zu genießen. Nach sieben Monaten und dreizehn Tagen warf man mich raus. Weshalb? Literatur ist nicht mehr als Erfindung, aber die Sowjetunion war das Imperium von Wort und Bild. Ausländer verstehen nur schwer, dass das Leben in diesem Land bis heute, ungeachtet radikaler Veränderungen, hauptsächlich im Kopf existiert, in der Selbstüberzeugung des Bewusstseins, im bildhaften System des Wortes und nicht in der Realität, wie es in anderen Ländern zu sein pflegt. Die Sprache ist das einzige Argument für die Existenz Russlands. Für die Partei war es lebensnotwendig, das Monopol über das Wort zu besitzen wie über den Wodka. Jeder Anschlag auf
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