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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Eisenbahnergewerkschaft war, versuchte er es beim Eisenbahninstitut mit der unmöglichen Abbreviatur LIISHT , die nach dem Bremsweg einer Dampflok klingt, doch im letzten Moment begann er zufällig an einer dritten Hochschule zu studieren: Plötzlich war er auf die Idee gekommen, als Freiwilliger in Spanien zu kämpfen. Obwohl er keinerlei Berufung zum Philologen verspürte und schöngeistiger Literatur gleichgültig gegenüberstand, schrieb er sich an der Philologischen Fakultät der Staatlichen Universität Leningrad ein, um für die Weltrevolution Spanisch zu lernen.
    *
    Durch die Universitätskorridore liefen Übersetzer mit frischen Orden – mein jugendlicher Vater träumte davon, mit ihnen im U-Boot zu den Küsten Spaniens zu fahren. Dürr wie er war, in einer braunen Veloursjacke, seiner einzigen, stellte er bereits einen gut entwickelten Sowjetmenschen dar, einen Bilderbuchkomsomolzen, energisch bis in die Knochen. Doch statt Spanisch begann er, wegen Francos Sieg, Französisch zu lernen.
    »Genosse Jerofejew«, fragte ihn Stalin zehn Jahre später bei der ersten persönlichen Begegnung in seinem Kabinett im Kreml (im Hintergrund war Lenins Totenmaske ausgestellt), »wo sind Sie geboren?«
    Stalin sprach, nach Vaters Aussagen, immer »mit tonloser Stimme, und er machte eine Menge Grammatikfehler«. Es war sehr deutlich, fügte er kürzlich hinzu, dass dieser Mann »kaukasischer Nationalität« war. Vater hatte die Frage des Führers nicht richtig verstanden.
    »An der Staatlichen Universität Leningrad, Jossif Wissarionowitsch.«
    »Direkt an der Universität sind Sie geboren?«
    Stalin zeigte sich unglaublich belustigt. Er brach in Gelächter aus, hielt sich die Seite, und seine ganze Erscheinung sagte: »Du Witzbold! Ich kann nicht mehr!«
    In diesem Moment erschienen in der Tür von Stalins Arbeitszimmer Berija und Molotow, die bei einem Gespräch mit einem ausländischen Gast zugegen sein sollten. Sie blieben stehen, verstanden gar nichts und funkelten befremdet mit ihren Zwickern. Wie konnte dieser dünne junge Mann den Führer derart belustigen? Worin bestand sein Geheimnis, was war das hier für ein Komplott? Sie erlaubten sich nicht zu fragen – Stalin ließ sich zu keiner Erklärung herab.
    »Na schön, hast mich zum Lachen gebracht«, sagte er freundschaftlich zu Vater.
    Vater wurde vorgemerkt.
    »An die Arbeit«, sagte Stalin in ernstem Ton und forderte ihn auf, sich zu setzen. »Arbeiten Sie ruhig, werden Sie nicht nervös«, nickte er Vater zu. »Ich spreche nicht sehr laut, Sie dürfen nachfragen. Dafür spreche ich langsam.«
    Er klingelte nach Poskrjobyschew:
    »Ist der Gast eingetroffen? Lassen Sie ihn eintreten!«
    Den Raum betrat raschen Schrittes Maurice Thorez, der führende Kopf der französischen Kommunisten.
    »Was gibt’s? Bonjour!«, begrüßte Stalin ihn herzlich. Vater begann zu dolmetschen. Manchmal fühlte er den wachsamen Blick der starren Augen Berijas über dessen Zwicker hinweg auf sich ruhen. Stalin bezeichnete sie laut Molotow als Schlangenaugen.
    *
    Vaters Vorgänger, der für Stalin aus dem Französischen übersetzt hatte, war seines Postens enthoben worden, nachdem er sich anlässlich des Besuchs einer Militärdelegation aus Paris in der Luftfahrtterminologie verheddert hatte.
    »Ich habe den Eindruck, daß ich Französisch besser kann als Sie«, sagte Stalin zu ihm.
    »Stalin hielt sich bescheiden«, bemerkte Vater über seine erste Begegnung mit dem Führer. »Sein Charme machte starken Eindruck auf mich.«
    Den Vater aller Völker zu erheitern, bekam mein Vater indes nur darum Gelegenheit, weil er in seiner Jugend alljährlich im März Opfer einer geheimnisvollen Angina mit Abszessen im Hals und vierzig Grad Fieber wurde. Als er sich an der Philologischen Fakultät einschrieb, ahnte er nicht, dass die sowjetische Philologie nicht weniger lebensgefährlich war als der spanische Bürgerkrieg.
    »Am 12 . März 1939 hütete ich mal wieder das Bett und litt furchtbar, weil ich wegen meiner Krankheit nicht an einer Party teilnehmen konnte. Unsere Gruppe wollte den Geburtstag von Sergej Klyschko feiern, das war ein Kommilitone von uns und ein Dichter.«
    Klyschko war ein verzweifelter Kopf. Er schrieb in den Vorlesungen, den Zottelschopf übers Papier gebeugt, Gedichte gegen Stalin. Vater und er waren befreundet, sie sahen sich jeden Tag. Beide gefielen den Mädchen. Vater redete auf ihn ein, vorsichtiger zu sein. Aber Sergej winkte nur ab. Wenn er einen getrunken hatte,

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