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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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seine baldige Zukunft voraus.
    *
    Bin ich dazu berufen, die Zeichen des 20 . Jahrhunderts zu verurteilen? Die Mühen der Selbstaufopferung gelten im Nachhinein nichts mehr. Zu Beginn des Krieges hatte Vater bereits die externen Prüfungen am Dolmetscherinstitut abgelegt und wurde in einer Spezialeinheit für Diversionsaktionen im Hinterland des Feindes ausgebildet. Vor der Verschickung an die Front sprang er unglücklich mit dem Fallschirm ab, landete in einer hohen Fichte, brach sich das Bein und kam ins Lazarett. Dort wollten sie ihm wegen Wundbrandgefahr das Bein bis zum Knie amputieren. Er lehnte ab. Das brauchen wir schriftlich. Er schrieb. Er lag auf dem Korridor und horchte in sein heißes Bein hinein. Er hatte hohes Fieber und redete irre. Er hatte praktisch keine Chance. Ein junger Arzt rettete ihn mit einem neuen Präparat, das er bei ihm auszuprobieren beschloss – die Wischnewski-Salbe. Zweimal am Tag rieb ihm der Arzt geduldig mit der Salbe das Bein ein. Viele Jahre später taucht der Salben-Wischnewski bei uns zu Hause auf: laut, groß, wie ein General; er trinkt französischen Cognac. Im Vergleich zu ihm sind die Eltern kleine Leute aus der russischen Literatur. Auf dem Tisch viele Brotkrümel, die vom Abendessen übrig geblieben sind. Er fährt mit dem Finger meine Wirbelsäule entlang und zeigt sich unzufrieden. Als guter Bekannter hat er Mama den Blinddarm herausoperiert und ihr, wie sie sich ausdrückte, eine virtuose Naht verpasst. Die ganze Gruppe, die ohne Vater losgeflogen war, Brücken zu sprengen, ist vernichtet worden.
    Nach dem Lazarettaufenthalt wurde Vater zufällig zur Arbeit im Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten abgestellt, so nannte sich damals das Außenministerium, denn die Mehrheit der im Oktober 1941 als Volksaufgebot zur Verteidigung Moskaus eingezogenen Mitarbeiter war umgekommen.
    »Du wirst jetzt über rote Teppiche gehen und uns vergessen«, sagte der Kommandant der Diversionsschule beim Abschied zu ihm.
    *
    Auf dem Meer haben die Deutschen gut gekämpft! Man denke nur an die außerordentliche Tat, deren Nachricht die Welt in Erstaunen versetzte: U 47 (Kapitän-Leutnant Günter Prien) stieß am 14 . Oktober 1939 bis in die britische Basis »Scapa Flow« vor und versenkte das Schlachtschiff »Royal Oak«. Hitler wurde zum Meeresdonner. Seinen Kampf gegen die Schifffahrt im Nordmeer führte während des Angriffs auf die Sowjetunion Großadmiral Raeder, ein frommer Mann, der nichts Ehrenrühriges in der Flotte und in den Methoden der Seekriegsführung dulden wollte. Wie dem auch sei, die deutsche Kriegsmarine verdankt Raeder die einzigartige Maxime: »Krieg ohne Hass«. Zum Gegner meiner Geburt wurde neben Raeder und Konteradmiral Dönitz, neben den U-Booten der Deutschen und ihrer Luftwaffe am Polarkreis auch das Schlachtschiff »Tirpitz«. Es begann so:
    »Wir haben beschlossen, Sie ins Ausland zu schicken, nach Schweden«, teilte Dekanosow, der stellvertretende Minister für Kaderfragen, meinem Vater mit. »Diplomatie wird man Ihnen vor Ort beibringen. Die Kollontai ist eine erfahrene Botschafterin. Haben Sie Fragen?«
    Dekanosow, Protegé von Berija, sollte 1953 erschossen werden, aber davon ahnte er nichts. Die Arbeit im neutralen Schweden ist natürlich ein Glück, es findet sich sogar etwas Zeit für Privatleben und Zerstreuung mit der Tochter des Physikers und aktiven Antifaschisten Niels Bohr, aber wie die Gesetze im Märchen es vorschreiben, muss sich der Held, um das Glück zu erlangen, verschiedenen lebensgefährlichen Prüfungen unterziehen.
    »Und in welcher Kleidung soll ich reisen?«, erlaubte sich Vater zu fragen, der in seiner Feldbluse vor Dekanosow stand.
    »Fahren Sie ins Ausland, dort ziehen Sie sich dann um.«
    So wurde Vater zu Odysseus. Schweden war von der Welt der Alliierten isoliert. Norwegen und Dänemark waren besetzt. Finnland kämpfte auf der Seite der Deutschen gegen die UdSSR . Vater wurde befohlen, zuerst nach Kuibyschew zu fahren, dann nach Archangelsk, von dort mit einem Schiffskonvoi nach England und weiter weiß Gott wie nach Stockholm.
    Wenn ich ein Hollywood-Drehbuch schreiben müsste, würde ich mit einer Bombardierung anfangen. Exposé: Dies ist ein Film über den Mut der amerikanischen und englischen Seeleute – die »Titanic« kann man vergessen. Die Deutschen bombardieren das hölzerne Archangelsk. Archangelsk in Flammen. Um eines der in der Stadt seltenen Ziegelgebäude, das Hotel »Intourist«, in dem Vater wohnt,

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