Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Geheimgänge gibt«, antwortete Ignazio.
»Du musst aber wirklich in Schwierigkeiten stecken, Alvarez«, brummte Asclepios, während er ihm ein Bündel reichte. »Das ist alles, was in deiner Tasche war. Ganz so, wie du mich gebeten hast.«
»Du hast mir einen großen Dienst erwiesen, mein alter Freund.« Ignazio nahm das Bündel an sich. »Jetzt musst jedoch auch du fliehen. Es tut mir leid, aber hinter den Mauern deines Turmes wärst du nicht mehr sicher. Wir brechen nun auf nach …«
»Warte, Alvarez, bevor du überstürzte Entscheidungen fällst«, fiel ihm der alte Bibliothekar ins Wort. »Ich muss dir noch etwas Wichtiges geben.«
»Was ist es?«
»Eine Botschaft. Viviën hat sie mir vor zwei Tagen anvertraut, als er mich aufsuchte. Er hat mich gebeten, sie dir zu übergeben, sobald du dich entschließt, Santiago de Compostela zu verlassen.« Mit diesen Worten zog Asclepios ein Briefchen aus einer Tasche seiner Kutte und reichte es Ignazio.
Der Händler las die kurze Nachricht:
Lieber Freund,
ich nehme an, du bist im Besitz der Engel Temel, Kobabel und Amezarak. Ich erwarte dich um Mitternacht vor dem siebzehnten Sonntag nach Pfingsten im Dom von Venedig. Ich werde in Begleitung von Amaros sein, dem ersten der vier, damit wir sie endlich vereinigen können.
Viviën
»Mitternacht vor dem siebzehnten Sonntag nach Pfingsten«, flüsterte Ignazio. »Das ist der 29. September, der Gedenktag des heiligen Erzengels Michael … in knapp zwei Monaten.«
»Was hast du vor?«, fragte Asclepios.
»Selbstverständlich werde ich zu dem Treffen gehen. Ich werde mit Uberto und Willalme ein Schiff nach Italien nehmen, das ist der schnellste und sicherste Weg, um unser Ziel zu erreichen«, erklärte Ignazio. »Du dagegen, Asclepios, nimm meinen Karren und fahre Richtung Osten nach Mansilla de las Mulas, dann halte dich nördlich. Sobald du die Kirche San Miguel de Escalada passiert hast, wirst du in ein kleines Tal gelangen. Dort lebt auf einem Landgut Sibilla, meine Frau. Erzähl ihr alles. Sag ihr, dass Uberto in Sicherheit ist, und kümmere dich um sie. Und erinnere sie daran, dass ich zu ihr kommen werde … sobald es mir möglich ist.«
SECHSTER TEIL
DER GESANG DES AMAROS
»Die Mager sind jene, die allgemein ›Hexer‹ genannt werden wegen der Bosheit ihrer Taten. Sie bringen die Elemente durcheinander, verwirren die Sinne und nehmen Leben allein durch die Kraft ihrer Zauber, ohne irgendein Gift anzuwenden.«
Isidor von Sevilla, »Etymologiarum libri«, VIII , 9
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Das Schiff mit dem viereckigen Segel durchpflügte in schneller Fahrt die Wellen auf dem Weg zur Meerenge von Gibraltar. Ignazio stand an der Steuerbordseite und blickte zum unerreichbaren Horizont.
»Kannst du mir sagen, was hinter diesem Meer liegt?«, ertönte fragend eine junge Stimme hinter ihm.
»Nein.« Ignazio drehte sich zu Uberto um. »Ich glaube, niemand weiß, was sich jenseits des Horizonts verbirgt.«
Uberto lächelte. Zum ersten Mal wusste Ignazio keine Antwort auf eine seiner Fragen. Er schaute nach vorn und verfolgte fasziniert das Rollen der Wellen. »Wohin geht unsere Reise?«
»Wir haben gerade Lissabon passiert. Das Schiff wird weiter dicht an der Küste segeln bis nach Gibraltar, dann legen wir in Marseille an, ehe wir Genua erreichen. Von dort werden wir auf dem Landweg nach Venedig reisen.« Ignazio musterte besorgt Ubertos Stirn. »Lass mich einmal diese Wunde ansehen. Tut sie weh?«
»Nein«, antwortete der Junge, »die habe ich mir in Santiago de Compostela geholt, als ich versucht habe zu fliehen und dabei gestürzt bin … Es ist bloß ein Kratzer.«
»Sie scheint auch schon zu verheilen. Aber du wirst eine Narbe zurückbehalten …« Ignazio strich dem Jungen eine Locke aus der Stirn. Dann sagte er noch einige liebevolle Worte, die jedoch im lauten Geschrei der Möwen untergingen.
Nach einigen Tagen hatte Asclepios da Malabata sein Ziel erreicht. Er hielt die Pferde an und streckte sich, während er zu dem großen Haus hinüberschaute, das sich zwischen bestellten Feldern erhob. Er hatte es zutiefst bedauert, seine Bibliothek verlassen zu müssen, und war unterwegs mehrmals versucht gewesen, den Karren zu wenden und zu dem baufälligen Turm zurückzukehren. Aber als ihn diese beruhigende Stille umfing, zog es ihn vorwärts.
Als er vor dem Haus hielt, sah er sich um, die helle Morgensonne tauchte sein Gesicht in goldenes Licht. Er sah eine alte Zigeunerin, die Wäsche zum Trocknen
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