Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Dogenpalastes zuckten die Schatten der Fackeln. Die salzgeschwängerte Luft wehte schwer über den Platz.
Ignazio näherte sich der Fassade des Doms. Dort, wo alles begonnen hatte, sollte es auch zu Ende gehen. Das hätte er sich ja denken können. Viviën hatte die symmetrische Anordnung wichtiger Ereignisse schon immer fasziniert.
»Ihr wartet hier draußen«, sagte er zu seinen Begleitern. Uberto machte erbost einen Schritt auf ihn zu, doch Ignazio legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Keine Widerrede, macht es einfach. Und sollte irgendetwas geschehen, flieht ohne Umstände.«
Bei diesen Worten gab der Junge auf.
Ignazio hätte ihm gern noch so vieles gesagt, aber er unterdrückte seine Gefühle und wandte sich an Willalme: »Sollte mir etwas zustoßen, kümmere dich um ihn.«
Der Franzose nickte und wickelte sich enger in seinen grünen Umhang. Es war kalt.
Jetzt blieb keine Zeit mehr für lange Grübeleien. Während tausend widersprüchliche Empfindungen auf ihn einstürmten, ging Ignazio zum Eingangsportal des Markusdoms. Die Türflügel waren angelehnt, er musste sie nur aufdrücken, und schon stand er im Vorraum. Er durchquerte das menschenleere Hauptschiff. Wahrscheinlich wartete Viviën in der Krypta auf ihn, daher steuerte er gleich auf die Apsis zu und stieg die Stufen nach unten. Hier war es so dunkel, dass er sich an den Wänden entlangtasten musste.
Im Hauptschiff der Krypta sah er vor dem Altar, vom flackernden Schein der Kerzen nur schwach erleuchtet, eine Gestalt in einem Kapuzenumhang stehen.
Ignazio näherte sich ungläubig. »Viviën, bist du es wirklich?«
Der Mann am Altar bewegte sich. »Ignazio, endlich …«
Ignazio erkannte die Stimme sofort, aber er zügelte seine Freude, denn eigentlich bewegten ihn ganz andere Gefühle, die schwer auf seinem Herzen lasteten.
»Auch ich konnte es kaum erwarten, dich wiederzusehen, schließlich will ich Antworten auf so viele Fragen!«, stieß er ärgerlich hervor. »Warum hast du mir in all diesen Jahren das Geheimnis um das ›Uter Ventorum‹ verschwiegen? Die Heilige Vehme hat mich seinetwegen verfolgt, obwohl ich von diesem verfluchten Buch überhaupt nichts wusste! Weißt du überhaupt, was du mir damit angetan hast?«
»Begrüßt du so einen alten Freund?« Der Vermummte drehte sich um und schlug dann mit einer wohlbedachten Bewegung die Kapuze zurück. »Keine Sorge, ich werde dir alles erklären.«
Ignazio schaute seinem alten Weggefährten ins Gesicht und erlebte eine schauerliche Überraschung. Er sah nicht mehr in die vertrauten Züge, sondern in eine hässliche Fratze. Tiefe Narben entstellten Viviëns Gesicht, die Nase war mehrfach gebrochen und die Lippe gespalten.
»Viviën, ich erkenne dich kaum wieder«, sagte er erschrocken. »Was ist mit deinem Gesicht geschehen?«
Sobald Uberto und Willalme allein waren, suchten sie nach einem Fenster oder einer anderen Öffnung, durch die sie ins Innere des Markusdoms spähen konnten. Nachdem sie den Bau fast umrundet hatten, blieb der Franzose an einem schmalen Fenster der Krypta stehen. Er blickte hinein, dann machte er Uberto ein Zeichen, zu ihm zu kommen.
Drinnen waren zwei Männer im Gespräch zu sehen.
Als Uberto durch die Fensteröffnung blickte, riss er überrascht die Augen auf. »Ich habe diesen Mönch schon mal gesehen«, flüsterte er. »Ich bin ihm in Spanien begegnet, in Sahagún. Er hat mich angesprochen!«
Schnell rief er sich die kurze Unterhaltung wieder ins Gedächtnis. »Frag deinen Mentor. Frag ihn, wer er wirklich ist«, hatte der Mönch gesagt. Aber wenn der Entstellte wirklich Viviën de Narbonne war, warum hatte er sich in Sahagún nicht zu erkennen gegeben? Warum hatte er sich nicht nach Ignazio erkundigt, anstatt hinter dessen Rücken Misstrauen zu säen?
»Ich glaube, Ignazio ist in Gefahr«, flüsterte er verängstigt.
»Mein Gesicht?« Viviën strich mit den Fingern über die Narben. »Wenn ich bis jetzt am Leben geblieben bin, dann verdanke ich das vor allen Dingen dieser schrecklichen Fratze.«
Ignazio äußerte sich nicht dazu. Viviën klang so verändert, seine Stimme war schriller geworden, fast wie die eines Wahnsinnigen.
»Willst du wissen, wie es passiert ist?«, fragte er jetzt. »Es geschah drei Jahre nach den Ereignissen in Köln. Du warst damals schon im Orient. Ich dagegen hatte mich in den Alpen versteckt, in San Michele della Chiusa, und bildete mir ein, dass ich so der Heiligen Vehme entgehen könnte. Doch Dominus hat mich
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