Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
sich am Tisch gegenüber.
Sie bedeuteten ihm, er möge ebenfalls Platz nehmen. Das Gesicht des Händlers war wie sonst undurchdringlich, Rainerio dagegen wirkte entspannt.
Der Junge musterte beide aufmerksam, dann setzte er sich.
Der Abt räusperte sich. »Mein Sohn, du wirst dich sicher fragen, warum du hierherbefohlen wurdest. Ich werde dich nicht länger warten lassen … Meister Ignazio hat einen dringenden Ruf erhalten und wird in Kürze aufbrechen. Seine Geschäfte werden ihn nach Venedig führen, wohin danach, weiß nur der Herr.« Er unterbrach sich kurz, vielleicht um nach den geeigneten Worten zu suchen.
Uberto rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl nach vorn und schaute verwirrt von einem zum anderen.
Rainerio fuhr fort: »Ignazio hat mich gefragt, ob ich jemanden kenne, der bereit wäre, ihn als Gehilfe oder besser als secretarius zu begleiten. Willalme de Béziers ist zwar ein verlässlicher Freund, doch er kann weder lesen noch schreiben.« Der Abt wartete auf ein bestätigendes Nicken des Händlers, danach schloss er: »Nun gut, er hat den Wunsch geäußert, dass er gern dich mit sich nehmen würde. Er hält dich für klug und hinreichend gebildet. Du würdest seinen Bedürfnissen entsprechen.«
»Du bist vollkommen frei in der Wahl, Uberto«, stellte Ignazio klar. »Niemand zwingt dich zu etwas.«
Uberto war so überrascht, dass er ein Zittern unterdrücken musste. Die soeben gehörten Worte hallten in seinem Kopf wider und schickten Wogen der Begeisterung durch seinen Körper. Wie könnte er ein solches Angebot zurückweisen? Endlich bot sich ihm die Gelegenheit, das Kloster zu verlassen und die Welt zu erkunden. Sein größter Traum!
»Ich nehme an, und das höchst gern«, antwortete er mit bebender Stimme, ohne lange nachzudenken.
»Dann ist es beschlossen«, verkündete der Abt. »Ignazio da Toledo wird sich von nun an um dich kümmern.«
Der Händler erhob sich und legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. »Bist du sicher? Das ist eine wichtige Entscheidung, triff sie nicht leichtfertig.«
»Ich bin sicher«, bestätigte Uberto begeistert.
»Gut.« Ignazio wirkte erfreut. »Wir werden morgen nach den Laudes aufbrechen. Geh und pack deine Sachen zusammen, aber nimm nicht zu viel mit: Wir reisen mit leichtem Gepäck«, ermahnte er ihn. »Ich bleibe noch kurz hier mit dem Abt, denn ich muss noch die nötigen Papiere unterzeichnen, damit du mit uns reisen kannst.«
Uberto nickte und verabschiedete sich, er konnte immer noch nicht glauben, was ihm gerade widerfahren war.
12
Die Nacht ging in einen düsteren, grauen Morgen über. Ein schwacher Wind strich sanft über das Schilf.
Das Boot war ein anderes als das, welches Willalme nach Pomposa gebracht hatte; es war länger und konnte mehr Ladung aufnehmen. Im Heck war ein Zelt aufgeschlagen, das sechs Personen beherbergen konnte. Die Planken des gebogenen, kiellosen Rumpfs wurden von Lederbändern, Harz und Pech zusammengehalten.
Ignazio ging an Bord, Uberto und Willalme folgten ihm. Der Steuermann durchbrach mit seiner Fackel den Grauschleier des Morgens und fragte nach dem Reiseziel.
»Venedig«, sagte der Händler knapp und begab sich in das Passagierzelt.
Der Steuermann erteilte den vier Ruderern Befehle und nahm dann seine Position am Steuerruder im Heck ein. Die Männer legten sich in die Riemen, wobei das Plätschern ihrer Ruder zunächst ungeordnet klang und dann immer rhythmischer wurde.
Am Ufer standen einige Mönche in ihre schwarzen Umhänge gehüllt und grüßten sie mit leichtem Kopfnicken. Uberto starrte in ihre Richtung, bis sie kaum wahrnehmbare Schatten in der Ferne waren. Er würde sie für lange Zeit nicht wiedersehen.
Ignazio blickte noch einmal beunruhigt zum Kloster Santa Maria del Mare. Er würde so bald wie möglich zurückkehren. Er wusste zwar noch nicht, wie, doch Maynulfos Tod durfte nicht ungerächt bleiben.
13
In den Mauern des Castrum abbatis entließ Rainerio da San Donnino Hulco und Ginesio nach einer kurzen Unterredung. Die beiden hatten bei einer sehr einfachen Aufgabe versagt, und seine Machenschaften wären beinahe aufgedeckt worden: Ignazio hätte nur Hulco nach dem Namen seines Auftraggebers fragen müssen, als er ihm das Messer an die Kehle gehalten hatte … Zum Glück hatte der Händler dies nicht getan. Er hatte wohl angenommen, die beiden Halunken seien von selbst darauf gekommen, in sein Quartier einzudringen. Das war einer der Vorteile als Abt, man wurde nur schwerlich
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