Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Euch meinen neuen Gehilfen vorstellen. Uberto.«
Bei diesen Worten verbeugte sich der Junge tief, so wie man es ihm im Kloster Santa Maria del Mare beigebracht hatte.
Scalò nickte leicht. »Erhebt Euch ruhig, junger Mann.«
Uberto gehorchte mit einem schüchternen Lächeln. In seinem groben Leinenkittel fühlte er sich diesem eleganten Patrizier gegenüber ziemlich armselig.
Der Conte wandte sich wieder an den Händler. »Ach, Ignazio, erst gestern Abend habe ich in Gegenwart des Bischofs den Wert einer Eurer Gaben in den höchsten Tönen gelobt. Ihr erinnert Euch an die bebilderte Bibel, die Ihr mir im letzten Jahr sandtet? Hier ist sie, schaut nur, ich trage sie stets bei mir.«
Der Conte hielt ein altes Buch in Händen. Als er es aufschlug, konnte Uberto die Miniaturen in seinem Innern bewundern, Heiligenbilder, die gewiss von einem der Buchmaler aus Alexandria stammten.
»Ich erinnere mich gut daran«, sagte Ignazio, der sich jedoch vor allem an den niedrigen Preis erinnerte, den man ihm für diese Bibel bezahlt hatte. »Es hat mich große Mühen gekostet, das Buch zu beschaffen.«
Scalò nickte. »Dem Dogen hat dieser Band sehr gefallen, und er hat angeordnet, dass eine der Miniaturen in den Mosaiken verewigt werden soll. Kommt, ich zeige sie Euch.«
Mit diesen Worten führte der Conte sie in den westlichen Teil der Basilika. Er schritt zwischen den Marmorsäulen hindurch, trat durch ein Tor, bis er eine Halle erreichte. Das war der Teil des Doms, der, wie Uberto vorher bemerkt hatte, gerade umgebaut wurde.
»Am Sonntag sind keine Handwerker anwesend«, erklärte der Conte und bahnte sich seinen Weg durch Gerüste und grob bearbeitete Steine.
Er blieb unter einer kleinen Kuppel stehen. Obwohl das Mosaik noch nicht fertiggestellt war, konnte man deutlich erkennen, dass es drei geflügelte Engel darstellte, die einer männlichen Gestalt gegenüberstanden.
Ignazio bemerkte sofort die Ähnlichkeit mit einer Miniatur aus dem alexandrinischen Kodex.
Uberto musterte die Engelsgestalten. Rechts von ihnen entdeckte er einen noch unvollendeten Baum. »Das sieht aus wie eine Szene aus dem Alten Testament«, sagte er unaufgefordert. »Die drei Engel, die Abraham erscheinen.«
»Schau dir einmal genau den vierten Mann zur Linken an, Junge«, erwiderte der Conte und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Das ist nicht Abraham, sondern Gottvater selbst. Das Mosaik stellt den dritten Schöpfungstag dar. Die geflügelten Wesen, die du Engel nennst, stehen für die Tage, die seit Anbeginn des göttlichen Schöpfungswerks vergangen sind. Sie sind ein Symbol für die Zeit.«
Uberto errötete. Da hatte er sich ja eine ziemliche Blöße gegeben, dachte er. So etwas kam dabei heraus, wenn man redete, ohne gefragt zu sein.
»Dennoch«, sagte Ignazio und richtete einen Finger nach oben zur Decke, »steckt hinter diesen geflügelten Wesen mehr, als es den Anschein hat.«
Der Blick Scalòs wurde aufmerksamer. »Erklärt Euch.«
»Für mich sind es nicht nur Symbole, sondern tatsächlich Engel. Ihre Aufgabe als ›Wächter der Zeit‹ erinnert mich an Aion, die heidnische Gottheit der Ewigkeit. Wie ihm wird auch den Engeln die Fähigkeit zugeschrieben, Herr über Zeit, Tage und Jahreszeiten zu sein.«
»Und wie sollten sie so etwas bewerkstelligen können?«, fragte Uberto.
»Indem sie die Himmelsräder bewegen.« Ignazio warf dem Jungen einen bedeutsamen Blick zu. »Wenn du Sonne oder Mond bewegst, hat das Auswirkungen auf die Abfolge von Tag und Nacht, auf Hitze und Kälte.«
Der Conte fuhr sich nachdenklich mit der Hand am Kinn entlang. Plötzlich legte er Ignazio einen Arm um die Schulter, als wären sie Zechbrüder, und lenkte ihn ins Innere der Basilika. Dabei wandte er sich Uberto zu und rief: »Junger Mann, es macht dir doch nichts aus, wenn wir dich kurz allein lassen? Ich muss mit deinem Magister ein paar Dinge unter vier Augen besprechen.«
»Ich bin gleich wieder hier, Uberto«, versicherte ihm der Händler. »Sieh dir inzwischen den Dom an.«
Der Junge konnte nur noch stumm nicken.
Die beiden Männer begaben sich zur Apsis und stiegen in die Krypta hinunter.
Keiner von ihnen hatte oben auf einer Empore den groß gewachsenen Mann bemerkt, ganz in Schwarz mit einem breitkrempigen Hut, den er tief ins Gesicht gezogen hatte. Der Mann hatte sich mehrmals über die Marmorbrüstung gebeugt, um die drei zu beobachten. Einzig Willalme war er aufgefallen, als er kurz im Vorraum nach seinen beiden
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