Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
verdächtigt.
Mit diesen Gedanken beschäftigt, ließ Rainerio sich tiefer in seinen Sessel sinken, die Ellbogen auf die Lehnen gestützt und die Finger unter dem Kinn verschränkt. Er grübelte über die letzten Worte nach, die ihm seine Diener mitgeteilt hatten: »Er ist abgereist, ohne die Truhe mitzunehmen. Und wir wissen, wo er sie abgestellt hat.«
Rainerio verharrte reglos im Halbdunkel und sann über die Aufgabe nach, die ihm von Scipio Lazarus vor vielen Jahren in der Stille eines Kreuzgangs in einem Kloster bei Bologna übertragen worden war. Dann erhob er sich und begab sich zur Bibliothek, bereit, seine Mission zu vollenden.
Es war spät geworden, durch die zweibogigen Fenster sah man schon die Sterne am Himmel funkeln. Der Abt strich durch die verlassenen Gänge, bis er die äußerste Ecke der Bibliothek erreicht hatte. Er durchdrang die Dunkelheit und schritt, begleitet vom Fiepen der Ratten, mit einer Laterne in der Hand weiter voran. Plötzlich, als das Licht auf den Boden fiel, bemerkte er etwas … Tatsächlich, hier stand sie!
Ginesio und Hulco hatten die Wahrheit gesprochen, Ignazio hatte seine Truhe Gualimberto anvertraut, damit dieser sie bis zu seiner Rückkehr heimlich in der Bibliothek aufbewahrte.
Der Abt stellte die Laterne auf den Boden und ergriff den Hammer, den er eigens mitgenommen hatte, mit beiden Händen. Wenige Schläge genügten, und das Schloss, das die Truhe versperrte, gab nach. Nachdem Rainerio das Werkzeug beiseitegelegt hatte, öffnete er den Deckel und leuchtete mit der Laterne in das Innere der Truhe. Endlich würde er Ignazios Geheimnisse entdecken, die Mysterien, die der Händler vor langer Zeit – da war er sich sicher – Maynulfo da Silvacandida enthüllt hatte.
Die Truhe enthielt jedoch weder Geld noch andere Kostbarkeiten, sondern nur etliche Bücher. Er holte sie heraus, um sorgfältig eines nach dem anderen zu prüfen und mit unerbittlichem Blick die Titel zu begutachten. Mit Verachtung und Bewunderung zugleich erkannte er »De scientia astrorum« von Al-Fargani, »De quindecim stellis« von Masa’allah, das »Liber de spatula« von Hermes Trismegistos und das »Centiloquium« von Abu Ma’schar. Dazu noch viele andere auf Arabisch verfasste Schriften, die er nicht kannte. Auf diesen Blättern entdeckte er seltsame Schriftzeichen, deren Bedeutung ihm verborgen blieb, und Bilder, die in so grellen Farben gemalt waren, dass ihr Anblick beinahe in den Augen schmerzte.
Also stimmte es, was man sich über Ignazio erzählte! Er war wirklich ein Hexer! Und hätte Rainerio noch Zweifel daran gehegt, zerstreute der Inhalt eines Bündels ganz unten auf dem Boden der Truhe jeden einzelnen davon. Der Abt löste die Schnur darum und holte, nachdem er sich mehrfach bekreuzigt hatte, eine kleine goldene Statue hervor. Etwas Vergleichbares hatte er noch nie gesehen. Es handelte sich um ein Götzenbild: ein bärtiger Mann mit vier Armen. Auf dem Kopf trug er eine Krone aus Tierköpfen, sein Glied war erigiert wie bei einem Satyr, und er hatte sechs gefiederte Flügel, die vollständig mit Augen bedeckt waren.
Eine Inschrift zu Füßen des Götzenbildes besagte: »Hor der vielen Augen, der den Cherubsengeln gleicht«.
Aber Rainerio konnte keine Cherubim erkennen. In seinen Ohren hallten die Mahnungen der Kirchenväter wider, die heidnische Götzenbilder verdammten und sie mit Dämonen gleichstellten. Diese Gottheiten waren Boten Satans, und ihre Unreinheit machte sie kalt und schwer, also der Anziehungskraft des Mondes unterworfen. Sie verbargen sich im Schatten, da sie nicht in der Lage waren, den Chören der Engel entgegenzutreten, und fristeten ihr Dasein, indem sie zwischen den Wolken und den Wogen des Meeres als Spielball der Winde dahinglitten und den Menschen Schaden zufügten.
All dies schoss Rainerio durch den Kopf und erschreckte ihn, stärker allerdings war der Hass, den er für Ignazio empfand. Ein Hass, in den sich auch Furcht mischte, Furcht vor dem Unbekannten.
Trotzdem ermannte er sich und setzte die Durchsuchung der Truhe fort. Er holte eine Rolle mit Dokumenten hervor, die von einem Lederband zusammengehalten wurden, die Korrespondenz des Händlers, und überflog ihren Inhalt. Zum größten Teil waren es Briefe aus Venedig, aus Neapel und verschiedenen Städten in Spanien. Einer trug ein jüngeres Datum: Er stammte vom vergangenen Montag, drei Tage vor der Abreise Ignazios, Willalmes und Ubertos.
Der Inhalt bestand aus wenigen Zeilen.
Im Jahre des
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