Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Waren. Die Menge schritt träge voran, die meisten ließen die Köpfe von der Hitze niedergedrückt hängen.
Uberto fiel auf, dass viele von ihnen gleich gekleidet waren. Sie trugen breite Hüte, deren Krempe über der Stirn hochgeschlagen war, und auf ihren Gewändern prangten die Abzeichen ihrer Pilgerschaft, die Muschel und das Schweißtuch der heiligen Veronika.
Ignazio und seine Begleiter schlossen sich der Menge der Pilger an und schoben sich geduldig vorwärts.
Im Innern der Stadt zogen sich die Häuser zu beiden Seiten der Calle Mayor, der Hauptstraße, entlang, die von der Kirche Santiago el Mayor überragt wurden. Uberto starrte beeindruckt auf das Gewimmel der Menschen, die sich in den Straßen drängten, und vor allem auf das Marktviertel, als ihn Ignazio auf einmal am Arm packte, wohl weil er fürchtete, dass er ihn in diesem Durcheinander verlieren könnte.
»Komm«, sagte er zu ihm. »Wir suchen nach Gothus Ruber.«
42
Die Hitze der Hundstage erlebte am frühen Nachmittag ihren Höhepunkt. Uberto war erschöpft von der langen Reise und hätte sich jetzt viel lieber in ein Bett gelegt und ein wenig geschlafen, als Ignazios drängender Hast nachzugeben. Er begriff nicht, warum der Händler es plötzlich so eilig hatte. Wenn Gothus Ruber – oder wie zum Teufel dieser Kerl hieß – bis jetzt auf sie gewartet hatte, kam es doch auf einen Tag mehr oder weniger auch nicht mehr an … Doch Ignazio schien unruhig zu sein. Obwohl er versuchte, seine Sorge zu verbergen, stand sie ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Was quält dich so, Ignazio?«, fragte Uberto, während Willalme und er sich hinter ihm durch die Menge schoben.
Der Händler drehte sich um, sah ihn an, als wüsste er nicht, wovon Uberto sprach, und wandte sich leise lächelnd wieder nach vorn. Der Junge warf Willalme einen fragenden Blick zu, doch der zuckte nur mit den Schultern.
Sie bahnten sich ihren Weg zwischen den Marktständen vor der Kirche Santiago el Mayor, ohne dass Uberto je begriff, wohin sie eigentlich wollten. Ihm kam es vor, als liefen sie aufs Geratewohl und im Kreis herum.
Irgendwann rief Ignazio den Franzosen zu sich, nachdem er sich wieder einmal misstrauisch umgesehen hatte, und flüsterte ihm etwas zu. Willalme nickte, zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und verschwand eilig.
Uberto sah ihm hinterher. »Wo will er hin?«
»Geh weiter und sieh dich nicht nach ihm um«, befahl ihm Ignazio. »Er soll etwas überprüfen und wird später wieder zu uns stoßen.«
Ignazio und Uberto liefen noch einige Zeit unter den Planen der Marktstände umher.
»Gothus Ruber heißt eigentlich Bartolomeo«, eröffnete ihm der Händler. »Der Beiname ›Gothus‹ rührt daher, dass seine Familie von den Westgoten abstammt, die noch vor den Arabern die Iberische Halbinsel bevölkerten. Warum er auch als ›Ruber‹ bekannt ist … das wirst du schnell begreifen, wenn du ihn siehst.« Ignazio lächelte. »Dazu musst du wissen, dass Bartolomeo einst als einer der besten Alchimisten Toledos galt.«
Mit einem gewissen Vergnügen gewöhnte sich Uberto allmählich an Ignazios seltsame Bekanntschaften. »Und wie hast du ihn kennengelernt?«
»Während meiner Studien in Toledo, als ich noch sehr jung war und Schriften aus dem Orient übersetzte«, antwortete Ignazio. »Schon damals widmete sich Bartolomeo der Alchimie. Mich faszinierten seinen Theorien über die Metalle. Ich suchte seine Gesellschaft, und wir wurden Freunde. Als ich Toledo verließ, verloren wir uns aus den Augen und begegneten uns erst lange Zeit später eher zufällig wieder. Ich wusste, dass er verarmt war und bei gewissen Wucherern in Saragossa hohe Schulden gemacht hatte. Das war nicht anders zu erwarten: Für seine Experimente musste er sich Gold, Silber und seltene Bücher beschaffen. Und da er nicht mehr in der Lage war, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, beschloss ich, ihn mit mir zu nehmen, damit er sich ein wenig Geld verdienen konnte, und brachte ihm bei, wie man mit Reliquien handelt.«
In der Mitte des Marktes hatte sich ein Grüppchen Pilger um einen Stand versammelt, und man hörte deutlich die kräftige Stimme eines Mannes. Gothus Ruber hatte sich hinter einem Karren aus Holz aufgebaut, den er als Verkaufstresen benutzte. Darüber hatte er eine große orangefarbene Plane gespannt, um sich vor der Sonne zu schützen. Der Stand sah aus wie ein kleines tunesisches Zelt, das mit den unterschiedlichsten Gegenständen vollgestopft war.
Die Menschen
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