Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
sicher kein Zufall, nein, es scheint mir klar zu sein, dass jeder in der Botschaft genannte Ort einem Versteck für einen Teil des ›Uter Ventorum‹ entspricht.«
Der Junge stimmte ihm zu. »Jetzt müssen wir nur begreifen, welcher Ort welchem Teil zugeordnet ist.«
»Wenn unsere Überlegungen stimmen, wäre es am logischsten, wenn wir in der Reihenfolge vorgehen, wie sie in der verschlüsselten Botschaft angegeben ist«, schlug Ignazio vor. »Das heißt, wir müssen den lateinischen und den provenzalischen Text einander gegenüberstellen und dabei mit der jeweils ersten Zeile beginnen«, sagte er und zeigte auf die entsprechenden Zeilen auf dem Pergament.
Amaroz dort suz les oilz d’Aturnin
Saturnus celat verba in ara maiore Tolose
»Seht ihr?«, fuhr er fort und war sicher, dass er es richtig gedeutet hatte. »Beide beziehen sich auf denselben Ort: Aturnin und Saturnus .«
»Aber Saturnus ist doch der Name eines Planeten«, wandte Willalme ein.
»Er ist, wie wir bereits festgestellt haben, auch die lateinische Bezeichnung für den heiligen Sernin«, berichtigte ihn der Händler. »In diesem Fall sind Aturnin und Saturnus zwei unterschiedliche Bezeichnungen für die Basilika Saint-Sernin, die sich, genau wie es im Text steht, in Toulouse befindet. Doch der Hinweis ist noch genauer: Er bezeichnet nicht nur die Basilika, sondern sagt, man solle am ara maiore , also in der Nähe des Hauptaltars, suchen.«
»Wenn die Bedeutung beider Zeilen darin übereinstimmt, war unsere Ahnung richtig!«, jubelte Uberto. »Viviën hätte dann den Engel Amaros beziehungsweise den Teil über die Zauberkunst im Hauptaltar von Saint-Sernin versteckt.«
»Genauso ist es.«
»Aber das können wir nicht überprüfen, zumindest nicht jetzt«, meinte Willalme seufzend.
»Das stimmt, wir können nicht nach Toulouse hinein, solange es belagert wird.« Ignazio wandte sich wieder dem Pergament zu. »Also bleibt uns nichts, als weiterzuziehen. Jetzt, wo wir die Anweisung begriffen haben, müssen wir nur noch die zweiten Zeilen der beiden Rätsel vergleichen und sehen, was wir ihnen entnehmen können.«
Temel esteit suz l’umbre d’un eglenter
Lunam signat Gothus Ruber Pontis Regine
Uberto runzelte die Stirn. »Der Rosengarten, der Mond und die Königin … Das sieht aus wie ein Hinweis auf die Jungfrau Maria.«
»Der Satz auf Provenzalisch ist unklar«, sagte Ignazio. »Außer dem Hinweis auf den Engel Temel, der gleichzusetzen ist mit dem Teil des Buches, der sich mit den Mondphasen beschäftigt, bietet er uns keine weiteren Informationen. Wenden wir uns lieber der lateinischen Zeile zu, die eine Verbindung mit dem Mond bekräftigt … und uns vor allem einen Ort und eine Person nennt.«
»Dann wird in der Zeile also auch ein Ort bezeichnet?«, fragte Willalme.
»Von Pons Reginae habe schon gehört.« Uberto versuchte sich zu erinnern. »Er liegt auf dem Pilgerpfad nach Santiago de Compostela, wenn ich mich nicht irre.«
»Du irrst dich nicht.« Der Händler schien mehr zu wissen, als er zu erkennen gab. » Pons Reginae oder besser gesagt Puente la Reina liegt in Spanien, am Fuße der Pyrenäen. Dort lebt unser Mann.«
»Und wer ist dieser Mann?« Der Junge beugte sich vor. Er konnte seine Neugier nicht mehr bezähmen. »Es klingt, als würdest du ihn kennen.«
»Gothus Ruber? Natürlich kenne ich ihn. Schon seit einer Ewigkeit.«
40
Es war noch Nacht, als Dominus Toulouse verließ.
Einige Stunden zuvor, nachdem er die nötigen Informationen über Ignazio da Toledo erhalten hatte, hatte er sich aus dem Kloster Saint-Romain entfernt. Die vorangegangene Unterredung war nicht einfach gewesen, denn sein nächtlicher Besucher hatte ihm bloß ausweichend geantwortet und kannte gewiss mehr Geheimnisse, als er offenbart hatte. Dominus hatte das Gespräch abbrechen müssen, als der andere misstrauisch geworden war. Doch es hatte sich gelohnt.
Nachdem er die Kirche verlassen hatte, hatte er die Dunkelheit abgewartet, um sich unbemerkt in der Stadt zu bewegen. Er hatte die Basilika Notre-Dame de la Daurade hinter sich gelassen und schließlich den Hof auf der Rückseite eines von Geschossen zerstörten Hauses erreicht. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass ihm niemand folgte, war er an einer eisernen Leiter in einen Brunnen hinabgestiegen.
Der Brunnen war trocken, und auf seinem Grund gelangte man zu einem Tunnel, der vor die Stadtmauern von Toulouse führte. Dominus war dem Weg gebückt in der Dunkelheit gefolgt.
Am
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