Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Schuld. Eine Schuld, die er nie mehr würde begleichen können.
Er konnte immer noch keinen Schlaf finden, denn er erinnerte sich an die Zeit, als er mit Viviën de Narbonne nach Köln gekommen und dort zum ersten Mal auf das Geheimtribunal der Vehme gestoßen war. Damals hatte ihn ein grausamer Freigraf verfolgt, der im ganzen Kaiserreich unter dem Decknamen Dominus, die Rote Maske, geachtet und gefürchtet war. Ignazio fragte sich, ob nicht vielleicht er bei der Ermordung von Gothus Ruber seine Hände im Spiel gehabt hatte.
Dieser Gedanke setzte sich beharrlich in seinem Kopf fest und quälte ihn noch mehr als eine Stunde, bis ihn der Schlaf endlich gnädig umfing und ihm unerwartet tiefe Erholung schenkte.
Als Uberto erwachte, war sein Kopf verwirrt von den Alpträumen, die ihn gequält hatten.
»Du hattest einen unruhigen Schlaf«, sagte Ignazio aus der Tiefe des Raumes.
Uberto sah ihn an, wie er da am Tisch saß, mit einem Gänsekiel in der Hand. »Ich habe von Gothus Ruber mit der durchgeschnittenen Kehle geträumt. Das war nicht sehr angenehm.«
»Das kann ich mir vorstellen«, antwortete Ignazio. »Geht es dir jetzt besser?«
»Ja.« Uberto richtete sich auf und sah aus dem Fenster. Es war schon weit am Nachmittag. »Wo ist Willalme?«
»Er ist hinausgegangen. Ich habe ihn geschickt, etwas zu essen für uns zu besorgen. Bist du hungrig?«
»Ich weiß nicht. Ich bin ein wenig durcheinander.«
»Das ist nicht verwunderlich. Komm, steh auf und hilf mir.«
Uberto fand diese Bitte ziemlich ungewöhnlich für Ignazio. Üblicherweise duldete der Händler niemanden in der Nähe, wenn er in seine Überlegungen versunken war.
»Was machst du gerade?«
»Ich habe die Tätowierung des Roten in mein Heft abgezeichnet. Und nun grüble ich darüber.«
Uberto kam näher und spähte vorsichtig auf den Tisch, doch als er dort auf einer Ecke die Kopfhaut von Gothus Ruber liegen sah, erstarrte er. Der Händler bemerkte es, nahm sie und ließ sie in einem Gefäß verschwinden, das er in seine Tasche legte.
»Jetzt kannst du wieder hinsehen«, sagte er.
Uberto schämte sich seines Verhaltens, doch bei dem Gedanken daran, wie kaltblütig Willalme dem Alchimisten die Kopfhaut abgetrennt hatte, stellten sich die Härchen auf seinen Armen auf. Solange er in Santa Maria del Mare gelebt hatte, hatte er nie etwas derartig Brutales gesehen oder gehört.
Er stellte sich neben Ignazio und betrachtete das Heft aus Pergament, das offen auf dem Tisch lag. Der Händler hatte die Tätowierung von Gothus Ruber auf die Seite neben Viviëns Kryptogramm gezeichnet.
Das Bild bestand aus zwei ineinandergefügten geometrischen Figuren. Ein Quadrat in einem Kreis und in der Mitte ein Engel.
»Das ist seltsam«, sagte Uberto und rieb sich die noch schlafverklebten Augen.
Ignazio fuhr mit dem Zeigefinger rund um die Zeichnung. »Siehst du die zwölf Glyphen um den Kreis? Das sind die Sternzeichen, eine kunstfertige Methode, um die Sphäre der Fixsterne darzustellen.«
»Und was für eine Bedeutung hat der Rest der Figur?«
»Der Kreis steht als Symbol für den Himmel, doch er bietet auch Schutz vor bösen Geistern. Das Quadrat dagegen steht für die Erde. Ihre Vereinigung, wie hier in unserem Fall, erschafft einen Talisman, der schon in der Kabbala erwähnt wird. Er verweist auf den göttlichen Funken, der sich in der Materie verbirgt.«
»Und wie genau benutzt man ihn?«
»Das werden wir wissen, wenn wir die drei fehlenden Teile des ›Uter Ventorum‹ gefunden haben. Für den Augenblick nehme ich an, dass es sich um eine Art Gehege handelt.«
»Ein Gehege? Und wozu sollte es dienen?«
»Um etwas in Schranken zu halten.«
»Einen Engel?«, wagte Uberto eine Vermutung.
Ignazio lächelte. Er stand auf und zerwühlte dem Jungen liebevoll den Schopf. »Hoffen wir mal, dass dem so ist«, sagte er und trat ans Fenster.
»Das sind die süßesten Äpfel von ganz Navarra«, sagte die Marktfrau hinter dem aufgeschichteten Obst augenzwinkernd und starrte den schönen blonden Fremden an, der sich ihrem Stand genähert hatte.
Willalme lächelte stumm. Zwar verstand er die Sprache hier nicht, doch es war offensichtlich, was sie gemeint hatte. Er betrachtete das große dunkelhaarige Mädchen mit den wunderbaren schwarzen Augen, dann spähte er in seine Tasche. Er hatte Brot und gebratenes Schweinefleisch gekauft. Ein wenig Obst würde nicht schaden. Er deutete auf die Äpfel und zeigte mit den Fingern, dass er drei kaufen wolle.
Nachdem
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