Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
den einzigen Hinweis auf seinen genauen Aufbewahrungsort verloren. Er war ein unwürdiger Diener. Einen Moment lang hoffte er, Dominus könne ihm vergeben und beschließen, ihm wieder zu vertrauen, doch tief in seinem Innersten spürte er, dass er dies nicht verdiente.
Seine Gedanken wurden von Schritten auf der Straße unterbrochen. Er lehnte sich vor und sah einen Mann kommen.
Dominus war zurückgekehrt.
Während er die Pilgerherberge betrat, überlegte Dominus seine nächsten Schritte. Der Händler aus Toledo hatte einen wichtigen Teil des »Uter Ventorum« an sich bringen können, doch es würde nicht schwer sein, seinen Spuren zu folgen. Wahrscheinlich war Ignazio schon unterwegs auf der dritten Etappe der Reise.
Puente la Reina und … Man musste nur den Hinweisen in dem von Viviën de Narbonne zurückgelassenen Kryptogramm nachgehen. Der Händler konnte nicht wissen, dass Slawnik es in San Michele della Chiusa gefunden hatte und dass er, Dominus, es hervorragend entschlüsseln konnte.
Dank dieses Kryptogramms würde er ihn überall aufspüren können.
Dieser erbärmliche Spanier zerbrach sich jetzt bestimmt den Kopf darüber, wie es der Heiligen Vehme gelungen war, ihn sogar hier zu finden. Bestimmt fühlte er sich langsam wie eine Maus in der Falle, genau wie schon vor einigen Jahren …
Er öffnete die schiefe Tür zu dem Zimmer, in dem Slawnik und die beiden anderen Schergen auf seine Befehle warteten.
»Ruht euch aus«, hallte Dominus’ Stimme entschieden durch den Raum. »Wir brechen in wenigen Stunden auf. Ignazio da Toledo darf uns nicht entkommen.«
52
Die Sonne ging über dem Abendland auf und tauchte die Gipfel der Pyrenäen in goldenes Licht. Es sah aus, als wolle glühendes Metall sich verflüssigen und in Feuerbächen die Abhänge hinunterlaufen.
Ignazio ritt voran. Uberto und Willalme, die sich nach Ruhe und erholsamem Schlaf sehnten, folgten ihm. Seit fast zwei Tagen hatten sie kein Auge mehr zugetan.
Plötzlich brachte der Händler sein Pferd zum Stehen und zeigte auf die Umfassungsmauern einer Stadt. »Das ist Estella. Dort werden wir wenigstens eine Weile unbesorgt ausruhen können.«
Das westlich von Puente la Reina gelegene Estella lag am Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Nicht weit entfernt befand sich eine der ältesten Klostergründungen der Benediktiner im Königreich Navarra, Santa Maria la Real de Irache. Die Stadt verfügte über einen großen Markt und zahlreiche Pilgerquartiere und war aus diesem Grund der beste Ort, um vorübergehend Unterschlupf zu finden.
Die Reisegefährten ritten durch die Stadtmauer an den vor sich hin dämmernden Wachen vorbei, ließen die Kirche San Pedro de la Rúa hinter sich und suchten sich ein Gasthaus, das einen Pferdestall besaß.
Nachdem sie ihre Reittiere einem Knecht übergeben hatten, klopften sie an die Tür des Gasthauses. Dort erschien ein kleiner Mann mit spärlichem Haarwuchs, der sich keineswegs verwundert über die frühen Gäste zeigte. Er empfing die drei Fremden mit einem lautstarken Gähnen, dann wies er ihnen ein Zimmer an, in dem sie sich ausruhen konnten.
Die Reisegefährten legten sich auf die Strohlager ihrer neuen Unterkunft und fielen sogleich in einen tiefen und festen Schlaf. Bis auf Ignazio, der sich zunächst noch einmal den Talisman vor Augen rief, der auf dem Schädel von Gothus Ruber eintätowiert war. Das Bild mutete orientalisch an, obwohl es ihn auf den ersten Blick an nichts Bestimmtes erinnerte, und er war sicher, dass etwas darauf fehlte. Vielleicht würde es ihm gelingen, es zu vervollständigen, wenn er die anderen Teile des »Uter Ventorum« miteinbezog. Er nahm sich vor, das genauer zu untersuchen, sobald er ein wenig geschlafen hatte. Im Augenblick musste er dafür sorgen, dass er wieder zu Kräften kam und seine innere Anspannung schwand.
Er wälzte sich auf seiner Bettstatt umher und erinnerte sich noch einmal an die Ereignisse der letzten Stunden. Die Lage war besorgniserregend, das konnte er weder vor sich selbst noch vor Uberto verheimlichen. Der arme Junge! Er hatte ihn da in eine viel zu gefährliche Sache hineingezogen. Vielleicht wäre es besser gewesen, ihn von allem ahnungslos im Kloster Santa Maria del Mare zurückzulassen.
Gothus Rubers Ermordung war eine deutliche Warnung, welche enorme Prüfung sie erwartete. Dennoch quälte Ignazio nicht nur die Angst, sondern auch Schuldgefühle, weil sein Freund ihm durch sein Opfer das Leben gerettet hatte. Jetzt stand er in seiner
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