Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Titel: Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcello Simoni
Vom Netzwerk:
erschreckte sie keineswegs, sondern rief in ihr so etwas wie ein Hochgefühl hervor. Ihr Blick musterte die Gesichtszüge des Eindringlings, bis er auf seine smaragdgrünen Augen traf, in denen Tränen der Sehnsucht und der Erinnerung standen.
    Sibilla verließ das Bett und stand wie versteinert da, die langen dunklen Haare fielen ihr über die halb entblößten Schultern. Unfähig, ein Wort zu sagen, trat sie einen Schritt vor, beinahe als fürchte sie, beim leisesten Flüstern könne die Erscheinung wieder verschwinden. Zitternd wie ein scheues Tier streckte sie den Arm aus, um den nächtlichen Besucher zu berühren, doch sie merkte, dass ihr der Mut dazu fehlte. Sie wollte die Hand zurückziehen, aber er kam ihr zuvor und ergriff sie.
    »Ignazio …«, sagte sie leise. »Du bist es wirklich …«
    Er antwortete nicht. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Stattdessen kniete er sich vor sie hin und legte den Kopf in ihren Schoß.
    Er hätte ewig so, die Arme um ihre Hüften gelegt, verweilen können.
    »Du bist es wirklich …«, sagte Sibilla noch einmal, dann begann sie zu weinen. Sie beugte sich über ihn, umarmte ihn, als hätte sie nur für diesen einen Moment gelebt.

67
    Bei Tagesanbruch stand Uberto auf und machte sich auf die Suche nach Ignazio. Es verlangte ihn nach Antworten auf so viele Fragen.
    Die Vorstellung, dass der Händler ein Haus, eine Frau haben sollte, verwirrte ihn. Und woher kam sein plötzlicher Entschluss, die Suche nach dem »Uter Ventorum« vorerst aufzugeben? Wollte er wirklich ganz darauf verzichten, oder handelte es sich nur um eine List?
    »Frag ihn, wer er wirklich ist«, hatte ihm der Entstellte in Sahagún in den Kopf gesetzt. Ein wenig enttäuscht erinnerte sich Uberto daran, dass Ignazio ihm das Rätsel des Engels Kobabel noch nicht enthüllt hatte. Andererseits war er verschlossener und geheimnisvoller als sonst gewesen, was diesen Teil des Buches betraf.
    Während er darüber nachdachte, bewunderte Uberto die Gemälde und Wandteppiche in den Räumen des Landhauses und erkundete sie einen nach dem anderen.
    Er streifte umher, bis er die Stimme des Händlers hinter einer Tür vernahm, er schien zu lachen. Ohne anzuklopfen, drückte Uberto die Klinke hinunter und trat ein, doch sofort zog er sich verlegen wieder zurück. Ignazio lag neben einer Frau auf einem Bett. Sie schienen zwar nur miteinander zu reden, aber trotzdem war er verwirrt … Bis jetzt hatte er den Händler als Lehrmeister wahrgenommen. Ihn dort mit einer Frau liegen zu sehen, enthüllte auf einmal ganz andere Seiten an ihm. Konnte ein so unsteter Mann wie er eine Frau oder vielleicht sogar eine Familie haben? Plötzlich erwies er sich als Mensch aus Fleisch und Blut und ließ Züge erkennen, die Uberto bei ihm niemals vermutet hatte.
    Unbeholfen sah er sich um und wusste nicht, was er nun tun sollte. Das Leben im Kloster hatte ihn auf solche Geschehnisse nicht vorbereitet, und schon gar nicht, wie man sich aus peinlichen Situationen befreite. Sollte er so tun, als hätte er nichts gesehen, und verschwinden? Er kam sich wie ein Narr vor.
    Plötzlich öffnete sich die Tür, die Frau erschien auf der Schwelle und ging mit kleinen Schritten auf ihn zu. Sie trug einen Hausrock aus roter Seide. Die Frau war nicht mehr jung, aber zweifellos schön. Sie kam zu ihm und streichelte sein Gesicht.
    »Ich heiße Sibilla«, sagte sie lächelnd. »Und du bist Uberto, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Ignazio hat mir von dir erzählt. Er sagt, du bist sehr klug und sehr mutig.«
    Uberto senkte den Blick. »Ich habe mich im ganzen Leben noch nie für mutig gehalten, meine Dame«, erklärte er und empfand ein leichtes, kaum spürbares Unbehagen.
    Sibilla war also die Gemahlin des Händlers? Sie war so anders als er! Eine selbstbewusste und warmherzige Frau, deren Lächeln alles und jeden zu umarmen schien.
    Sibilla wollte schon etwas erwidern, doch Uberto kam ihr zuvor: »Verzeiht mir, meine Dame. Ich habe Euch gestört. Ich wollte nicht …«
    Aber sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sagen, es sei doch nichts Schlimmes vorgefallen. Als sie ihn aufzuhalten versuchte, wich Uberto einen Schritt zurück. Sein Unbehagen hatte sich bis ins Unerträgliche verstärkt. Deshalb verbeugte er sich leicht und rannte weg.
    Sibilla blieb im Gang stehen und sah ihm nach, während sich Traurigkeit in ihr Lächeln mischte.
    Eine Stunde später saß Uberto mit Ignazio und Willalme im Wohnraum des Hauses. Es herrschte eine gedrückte Stimmung wegen

Weitere Kostenlose Bücher