Der häusliche Herd
sich
erhebend.
Sie befragten einander mit dem Blick. Mein Gott, ja; sie wollten
wohl, wenn ihm das Vergnügen machte; in ihrem geheuchelten
Gleichmut lag eine gewisse lüsterne Befriedigung bei dem Gedanken,
daß sie den Nachtisch da unten bei der Kleinen des Alten beendigen
würden.
Duverdy erinnerte bloß daran, daß Clarisse sie erwarte; allein
Bachelard, bleich und aufgeregt, seitdem er den Vorschlag gemacht,
schwur, daß sie sich gar nicht niedersetzen würden; die Herren
würden nur die Kleine sehen und dann sogleich wieder gehen.
Sie gingen hinunter und standen eine Weile auf der Straße,
während er zahlte. Als er sich zu ihnen gesellte, tat Gueulin, als
ob er nicht wisse, wo die Kleine wohne.
Vorwärts, Onkel! nach welcher Richtung?
Bachelard ward ernst; ihn quälte einerseits die Eitelkeit, sie
zu zeigen, und anderseits die Furcht, daß man sie ihm rauben könne.
Einen Augenblick schaute er rechts und schaute links, wobei er eine
besorgte Miene machte. Endlich sagte er rundheraus:
Nein, ich will nicht!
Er blieb hartnäckig bei seiner Weigerung, unbekümmert um die
Sticheleien Trublots; er fand es nicht einmal für nötig, die
Änderung seiner Absicht zu erklären.
Man mußte den Weg zu Clarisse antreten. Da
der Abend sehr schön war, ging man zu Fuße; das förderte die
Verdauung. Sie gingen die Straße hinab und waren noch fest genug
auf den Beinen, aber doch so voll, daß ihnen der Fußweg zu schmal
schien.
Gueulin und Trublot gingen voraus; hinter ihnen kamen Bachelard
und Duverdy, vertrauliche Geständnisse austauschend. Ersterer
schwur dem letzteren, daß er ihm nicht mißtraue; er würde sie ihm
gerne gezeigt haben, denn er kenne ihn als einen zartfühlenden
Mann; allein man dürfe der Jugend nicht allzu viel zumuten. Der
andere stimmte ihm bei und gestand ihm seinerseits, daß auch er
früher in Bezug auf Clarisse nicht ohne Besorgnisse war. Anfangs
hielt er seine Freunde fern von ihr; später, nachdem sie ihm
glänzende Beweise ihrer Treue geliefert, entschloß er sich, seine
Freunde bei ihr einzuführen und sich da ein reizendes Heim zu
schaffen. Eine kluge Frau! Und unfähig sich zu vergessen; sehr viel
Gefühl und sehr gesunde Ansichten. In ihrer Jugend freilich, da es
ihr an einem Führer fehlte, ließ sie sich manchen Fehler zu
schulden kommen; doch ist sie durchaus ehrbar geworden, seitdem sie
ihn liebt. Jetzt kann er auf ihre Treue schwören bei allem, was
heilig ist. Die ganze Rivoli-Straße entlang ward der Rat nicht
müde, sie mit Lobeserhebungen zu überhäufen; während der Onkel,
verdrießlich darüber, daß er nicht mehr dazu kam, ein Wort über
seine Kleine vorzubringen, an sich halten mußte, um ihm nicht zu
erzählen, daß seine Clarisse mit aller Welt schlafe.
Ja, ja, gewiß, murmelte er; aber seien Sie überzeugt, mein Herr,
die Tugend bleibt das Beste.
Das Haus in der Kirschstraße, wo Clarisse wohnte, lag wie
ausgestorben in der Einsamkeit und Stille der Umgebung. Duverdy war
überrascht, die Fenster des dritten Stockwerkes nicht beleuchtet zu sehen. Trublot sagte
mit ernster Miene, daß Clarisse ihren Besuch ohne Zweifel im Bett
erwarte. Oder, – fügte Gueulin hinzu – sie spielt in der Küche eine
Partie Bezigue mit ihrem Stubenmädchen.
Sie klopften an das Tor. Im Stiegenhaus brannte das Gas mit der
geraden, unbeweglichen Flamme einer Kapellenlampe. Kein Geräusch,
kein Hauch.
Als die vier Herren an der Loge des Hausmeisters vorbeikamen,
eilte dieser herbei.
Der Schlüsse], mein Herr! Hier der Schlüssel!
Duverdy blieb betroffen an der ersten Treppenstufe stehen.
Ist denn Madame nicht oben? fragte er.
Nein, mein Herr! … Und warten Sie, ich will Ihnen auch eine
Kerze bringen, die Sie benötigen werden.
Damit reichte er ihm einen Leuchter mit einem grausam höhnischen
Grinsen in dem sonst so respektvollen bleichen Gesichte. Der Onkel
und die jungen Leute schwiegen. Sie stiegen mit gekrümmtem Rücken
hintereinander hinauf; man hörte in der Stille der Stockwerke
nichts als das endlose Geräusch ihrer Schritte.
Voraus ging Duverdy, nach einer Erklärung suchend; er setzte mit
der mechanischen Bewegung eines Mondsüchtigen einen Fuß vor den
andern; die Kerze in seiner zitternden Hand malte den seltsamen
Aufstieg dieser vier Schatten au die Wand, der einer Prozession von
zerbrochenen Hampelmännchen glich.
Auf dem Treppenabsatz ward er von einer außerordentlichen
Schwäche befallen; er vermochte das Schlüsselloch nicht zu finden.
Trublot erwies ihm
Weitere Kostenlose Bücher