Der häusliche Herd
schwere Tränen traten ihr in
die Augen, während Julie und Clémence bemüht waren, den Greis zu
entkleiden. Dann hielt sie Octave zurück: ihr Bruder August sei
abwesend, da er an diesem Abende eine Zusammenkunft habe, und
Theophil tue gut, nicht heraufzukommen, denn schon sein Anblick
werde ihrem Vater den Rest geben.
Sie erzählte dann, daß dieser sich bei seinen Kindern
eingefunden habe, um seine Mietsrückstände bei ihnen einzufordern;
allein sie empfingen ihn schroff abweisend. Valerie überhaupt
weigerte sich zu zahlen und forderte die von ihm zur Zeit ihrer
Verheiratung versprochene Summe; und der Anfall kam zweifelsohne
von dieser Szene her, denn er kehrte in einem bedauernswerten
Zustande zurück.
Gnädige Frau, bemerkte Clémence, die eine Seite ist schon ganz
kalt bei ihm.
Das brachte Frau Duverdy vollends in Zorn. Sie sagte nichts mehr
aus Scheu, in Gegenwart der Dienstmädchen zuviel zu reden.
Ihr Gatte machte sich offenbar lustig über sie! Wenn sie
wenigstens die Gesetze gekannt hätte! Sie konnte nicht auf einem
Platze bleiben und trippelte vor dem Bette hin und her. Octave
betrachtete mit zerstreuter Miene den greulichen Haufen von
Papierstreifen, die den Tisch bedeckten; es waren in einer großen Schachtel von Eichenholz
ganze Stöße von Kartons sorgfältig geordnet, ein ganzes Leben voll
einfältiger Arbeit.
In diesem Augenblicke, da er auf einem dieser Kartons las:
»Isidor Charbotel: Salon vom Jahre 1857, Atalante; Salon vom Jahre
1859, der Löwe des Androkles; Salon vom Jahre 1881, Porträt von M.
P… .« pflanzte sich Clotilde vor ihm auf und sagte mit leiser
Stimme entschlossen:
Holen Sie ihn!
Da er sie verwundert anblickte, schien sie mit einem
Achselzucken die Geschichte von der Sache mit der Provence-Straße
abzutun, eine jener ewigen Ausreden, die sie für die Welt erfand.
In ihrer Aufregung ließ sie die Zügel schießen.
Sie wissen doch: in der Kirschstraße … Alle unsere Freunde
wissen es.
Er wollte widersprechen.
Ich schwöre Ihnen, gnädige Frau …
Verteidigen Sie ihn doch nicht! erwiderte sie. Ich bin froh
genug darüber: er kann dort bleiben … Ach mein Gott! wenn es
nicht für meinen armen Vater wäre!
Octave verneigte sich. Julie war im Begriffe, das Ohr des Herrn
Vabre mit dem Ende einer Serviette abzuwischen; aber die Tinte war
getrocknet, der Schmutz blieb auf der Haut kleben. Frau Duverdy
befahl, ihn nicht so stark zu reiben, dann kehrte sie zu dem jungen
Manne zurück, der bereits in der Nähe der Türe stand.
Keinem Menschen ein Wort, murmelte sie. Es ist unnütz, das Haus
zu alarmieren. Nehmen Sie eine Droschke, klopfen Sie dort an und
bringen Sie ihn jedenfalls zurück.
Als er fort war, ließ sie sich auf einen Sessel zu Häupten des
Kranken nieder. Er hatte sein Bewußtsein nicht wiedererlangt, nur
sein Atmen, ein langsames, schmerzliches Atmen, störte die düstere Ruhe des Zimmers. Als der
Arzt nicht kam und sie sich mit den beiden Dienstmädchen allein
sah, die mit gekreuzten Armen und bestürzten Mienen vor sich
hinstarrten, brach sie in einem Anfalle tiefen Schmerzes in ein
heftiges Schluchzen aus.
Onkel Bachelard hatte Duverdy in das Englische Kaffeehaus
eingeladen, ohne daß man wußte weshalb; vielleicht des Vergnügens
halber, einen Berufungsgerichtsrat bewirten zu können und ihm zu
zeigen, wie man in der Kaufmannswelt das Geld auszugeben
verstehe.
Er brachte außerdem noch Trublot und Gueulin mit, eine »flotte«
Gesellschaft, alle vier gut bürgerlich ohne Frauen, denn die Frauen
verstehen nicht zu essen; sie tun den Trüffeln unrecht und hindern
die Verdauung.
Übrigens kannte man den Onkel auf der ganzen Linie der
Boulevards von seinen üppigen Essen, die er seinen Kunden gab, die
ihm aus der Tiefe Indiens oder Brasiliens in die Hände fielen,
Essen zu 300 Franken auf den Kopf, bei denen er in nobler Weise die
Ehre des französischen Kommissionshandels rettete. Eine Wut des
Ausgebens erfaßte ihn, er forderte alles mögliche, die seltsamsten
Speisen, selbst unmögliche, wie Störe aus der Wolga, Aale aus dem
Tiber, Trappen aus Schweden, Bärentatzen aus dem Schwarzwald,
Teltower Steckrüben, Kürbisse aus Griechenland, außergewöhnliche
Erstlinge, Pfirsiche im Dezember und Rebhühner im Juli; dazu mußte
er einen Luxus an Blumen um sich haben, Silbergerät,
Kristallgläser, eine Bedienung, die das ganze Restaurant in
Bewegung setzte; nicht zu reden von den Weinen, derentwegen er den
Keller umstürzen ließ, unbekannte
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