Der häusliche Herd
fahrend bei dem Gedanken an sein eigenes
Glück, das er seiner tiefsinnigen Schlauheit zuschreiben zu sollen
glaubte, und das er kaum mehr zu verheimlichen vermochte.
Hören Sie, Onkel, sagte Gueullin, wenn Sie uns wieder bis zur
Türe führen und dort stehen lassen wollen …
Donnergottes, nein! Ihr sollt sie sehen. Das wird mir Vergnügen
machen! … Wenn es auch schon Mitternacht ist, sie steht auf,
wenn sie schon zu Bette wäre. Sie müssen wissen: sie ist die
Tochter des Kapitäns Menu und hat eine sehr achtenswerte Tante,
geboren zu Villeneuve bei Lille, so wahr ich ein Ehrenmann bin. Man
kann bei den Herren Gebrüdern Mardienne, Sulpiciusstraße Auskunft
über sie erlangen … Donnergottes! So was braucht unser einer! Ihr sollt einmal sehen, was
Tugend ist!
Hierauf faßte er sie bei den Armen, Gueulin rechts, Trublot
links, und holte weit aus, um sich nach einem Wagen umzusehen,
damit man rascher ankomme.
Mittlerweile erzählte Octave Herrn Duverdy in der Droschke kurz
von dem Schlaganfall des Herrn Vabre; er verheimlichte ihm durchaus
nicht, daß die Adresse der Kirschstraße seiner Frau vollständig
bekannt sei. Nach kurzem Stillschweigen fragte der Rat in
wehmütigen Tone:
Glauben Sie, daß sie mir verzeihen wird?
Octave schwieg. Die Droschke rollte im Dunkel dahin und wurde
nur von Zeit zu Zeit von dem Lichtstrahl einer Gaslampe beleuchtet,
an der man vorbeikam. Als sie ankamen, stellte Duverdy, von
Herzensangst gequält, eine neue Frage.
Nicht wahr, das Beste, was ich tun kann, ist, mich mit meiner
Frau auszusöhnen?
Das dürfte recht vernünftig sein, sagte der junge Mann, der
genötigt war zu antworten.
Duverdy glaubte, sein Bedauern über den Unfall seines
Schwiegervaters äußern zu müssen. Er sei ein sehr verständiger
Mensch, eine unglaubliche Arbeitskraft gewesen. Übrigens dürfe man
ihn noch herausreißen können.
In der Choiseul-Straße fanden sie das Haustor offen und stießen
auf eine Gruppe, die vor der Loge des Herrn Gourd sich angesammelt
hatte. Julie war heruntergekommen und fuhr über die Spießbürger
los, die einander »hinwerden« lassen, wenn ihnen etwas zustößt; es
taugt freilich nur für die Arbeiter, einander Bouillon und warme
Tücher zuzutragen. Seit zwei Stunden, während der er ausgestreckt
lag, habe der Alte zehnmal verschmachten können, ohne daß seine
Kinder sich auch nur die Mühe genommen
hätten, ihm ein Stück Zucker zwischen die Zähne zu stecken.
Vertrocknete Herzen, Leute, die ihre zehn Finger nicht zu
gebrauchen wissen, meinte Herr Gourd; während Hyppolite es allen
andern noch zuvortat und von der Kopflosigkeit, der dummen
Unbeholfenheit der Dame da oben erzählte, die mit verschränkten
Armen dem Kranken gegenüber dasitze, um den nur das Dienstvolk sich
herumtummle.
Als sie Herrn Duverdy wahrnahmen, schwiegen sie alle.
Wie geht's denn? fragte Duverdy.
Der Arzt macht ihm jetzt einen Senfumschlag, sagte Hyppolite. Es
war nicht leicht, ihn zu finden!
Im Salon oben kam ihnen Frau Duverdy entgegen. Ihr sonst so
kalter Blick glänzte jetzt unter den vom vielen Weinen geröteten
Lidern hervor. Der Rat öffnete ganz verlegen die Arme und sagte,
indem er sie küßte:
Meine arme Clotilde!
Ganz verwundert über diese ungewohnte Herzensergießung, wich sie
zurück. Octave war zurückgeblieben; doch hörte er, wie der Mann
leise hinzufügte:
Verzeih' mir; laß uns unter diesen traurigen Umständen unser
Unrecht vergessen … Du siehst, ich komme wieder zu dir und
bleibe nun der deine für alle Zeiten … Ich bin hart genug
bestraft …
Sie wand sich von ihm los, ohne zu antworten, gab sich in
Gegenwart Octaves das Ansehen einer Frau, die vom Treiben ihres
Gatten nichts wissen mag, und sprach:
Ich würde dich nicht belästigt haben, denn ich weiß, wie
dringend die Untersuchung in der Geschichte der Provence-Straße
ist. Aber ich sah mich allein, deine Anwesenheit war mir
unumgänglich. Mein armer Vater ist verloren. Sieh ihn an, der
Doktor ist bei ihm.
Als Duverdy sich in das anstoßende Zimmer begeben hatte, ging sie auf Octave zu, der, um sich eine
Haltung zu geben, sich an den Flügel gestellt hatte. Das Instrument
war offen geblieben, das Stück »Zémire und Azor« lag noch auf dem
Pulte, und er gab sich den Anschein, als ob er darin lese.
Die Lampe erhellte mit ihrem milden Lichte noch immer nur eine
Ecke des geräumigen Gemachs. Frau Duverdy sah den jungen Mann einen
Augenblick stumm an, bis sie, von ängstigenden
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