Der häusliche Herd
ihre Schwägerin Berta umarmte.
Warum hat man uns nicht benachrichtigt? entgegnete diese, wobei
sie wie ihre Mutter, die Lippen einkniff. Wir waren ja da, um ihn
euch tragen zu helfen.
August blickte sie mit bittender Miene an, daß sie schweigen
möge. Der Augenblick sei noch nicht gekommen, daß man miteinander
streite. Man könne schon noch warten. Der Doktor Juillerat, der
bereits einmal da war, sollte ein zweites Mal kommen; aber er gab
noch immer keine Hoffnung; der Kranke werde nach seiner Meinung den
Tag nicht überleben. August teilte diese Neuigkeiten seiner Frau
mit, um sie zu beruhigen, als gerade Theophile und Valerie
eintraten. Clotilde schritt ihnen sogleich entgegen und
wiederholte, indem sie Valerie umarmte:
Welch' entsetzlicher Schlag, meine Liebe!
Theophile war jedoch sehr erregt.
Was soll es denn heißen? fragte er, ohne auch nur die Stimme zu
dämpfen, wenn mein Vater im Sterben liegt, muß ich es vom Kohlenmann erfahren? Ihr wolltet also
Zeit gewinnen, ihm die Taschen zu leeren.
Duverdy erhob sich ganz entrüstet. Clotilde jedoch schob ihn mit
einer Bewegung auf die Seite, während sie ihrem Bruder leise
antwortete:
Unglücklicher! ist dir nicht einmal der Todeskampf unseres
Vaters heilig? … Sieh ihn nur an, betrachte dein Werk; ja, du
hast ihm das Blut vergiftet, indem du die rückständigen
Mietgebühren nicht bezahlen wolltest.
Valerie fing zu lachen an.
Das meinst du doch wohl nicht im Ernst? sagte sie.
Wie, nicht im Ernst? versetzte Clotilde höchst empört. Ihr wißt,
wie er darauf hielt, seinen Quartalszins hereinzubekommen …
Ihr habt gehandelt, wie wenn ihr's darauf abgesehen hättet, ihn
umzubringen.
Sie gerieten in einen immer heftigeren Wortwechsel und
beschuldigten sich gegenseitig, daß sie die Hand auf die Erbschaft
legen wollten, als August, der immer noch mürrisch, aber ruhig
dreinschaute, sie zum Respekt aufforderte.
Schweigt! Ihr habt ja später Zeit genug dazu. Zur Stunde ist es
nicht schicklich.
Die Familie erkannte die Richtigkeit dieser Bemerkung, und man
setzte sich um das Bett herum. Eine tiefe Stille trat ein; man
konnte das Röcheln in dem dumpfen Zimmer wieder vernehmen. Berta
und August saßen zu Füßen des Sterbenden; Valerie und Theophile,
die zuletzt angekommen waren, hatten sieh ziemlich weit neben den
Tisch hinsetzen müssen, während Clotilde am Kopfende einen Platz
inne hatte und ihr Mann hinter ihr; ihren Sohn Gustav, den Abgott
des alten Mannes, hatte sie ganz bis an die Matratze vorgeschoben.
Sie sahen einander lautlos an. Aber die deutlichen Blicke, die
zuckenden Lippen verrieten die heimlichen
Gedanken, die unruhigen Grübeleien, die durch die rotäugigen,
blassen Köpfe dieser Erben kreuzten. Der Anblick des jungen
Gymnasiasten, der sich so nahe beim Bette aufgestellt hat,
erbitterte besonders die zwei jungen Ehepaare; denn daraus war klar
ersichtlich, daß die Duverdy auf die Anwesenheit Gustavs rechneten,
um den Großvater zu rühren, wenn er seine Besinnung wieder erlangen
sollte.
Dieser Kunstgriff allein schien zu beweisen, daß kein Testament
vorhanden sei; Theophile warf verstohlene Blicke auf den alten
Geldkasten des ehemaligen Notars, den er von Versailles
mitgebracht, und in einer Ecke seines Zimmers hatte einmauern
lassen. Er sperrte aus purer Laune eine ganze Menge Sachen in ihn
ein. Sicherlich hatten sich die Duverdy beeilt, diesen Kasten
während der Nacht durchzustöbern. Theophile sann darüber nach,
ihnen eine Falle zu stellen und sie zum Sprechen zu bringen.
Sagen Sie einmal, lispelte er dem Rat ins Ohr; wenn man den
Notar kommen ließe? Papa könnte vielleicht andere Verfügungen
treffen wollen?
Duverdy hörte ihn zuerst nicht. Da er sich in diesem Zimmer sehr
langweilte, hatte er die ganze Nacht seine Gedanken auf Clarisse
zurückgelenkt. Das klügste sei freilich, sich mit seiner Frau zu
versöhnen; aber die andere, die war so possierlich, wenn sie mit
einer ausgelassenen Handbewegung das Hemd über den Kopf warf; und
die Augen auf den Sterbenden geheftet, sah er sie so in seiner
Einbildung, und hätte alles darum gegeben, sie nur noch einmal
wieder zu haben. Theophile mußte seine Frage wiederholen.
Ich habe Herrn Renaudin gefragt, antwortete Duverdy
zusammenfahrend. Es ist kein Testament da.
Aber hier?
So wenig hier wie beim Notar.
Theophile warf August einen bedeutungsvollen Blick zu:
augenscheinlich haben die Duverdy herumgestöbert. Clotilde verstand
die Bedeutung dieses Blickes und wurde über ihren
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