Der häusliche Herd
Mann aufgebracht.
Der Schmerz, sagte sie, muß ihn ganz betäubt haben, daß er nicht
weiß, was er spricht. Dann fügte sie hinzu:
Papa hat sicherlich getan, was er hat tun müssen … Wir
werden es nur zu früh erfahren, leider Gottes!
Sie weinte. Valerie und Berta, durch ihren Schmerz ergriffen,
schluchzten ebenfalls leise. Theophile hatte sich auf den Fußzehen
wieder zu seinem Sitz begeben. Er wußte, was er wissen wollte.
Sollte sein Vater wieder zum Bewußtsein kommen, wird er nicht
zugeben, daß die Duverdy mit ihrem Gassenjungen von Sohn Mißbrauch
treiben und gegen die andern bevorzugt werden. Als er sich aber
niedersetzte, sah er seinen Bruder August sich die Augen trocknen
und wurde so ergriffen, daß die Tränen ihn fast erstickten: er
dachte an den Tod, vielleicht sterbe auch er an dieser
abscheulichen Krankheit. Da zerfloß die ganze Familie in Tränen.
Gustav allein konnte nicht weinen, was ihn so bestürzt machte, daß
er die Augen zu Boden senkte.
So flossen die Stunden dahin. Um elf Uhr hatten sie eine
Zerstreuung, der Doktor Juillerat war nämlich wiedergekommen. Der
Zustand des Kranken verschlimmerte sich dermaßen, daß es jetzt
sogar zweifelhaft war, ob er seine Kinder, bevor er verschied, noch
einmal erkennen werde. Alle brachen wieder in Schluchzen aus, als
Clémence den Abbé Mauduit anmeldete. Clotilde, die sich erhoben
hatte, empfing zuerst seinen Trost. Er schien vom Unglücke der
Familie tief gerührt und fand für jeden ein Wort der Ermutigung. Er
sprach dann mit vielem Takte von den Rechten der Religion und gab zu verstehen, daß man diese
Seele ahne den Beistand der Kirche nicht scheiden lassen solle.
Ich hatte daran gedacht, sagte Clotilde.
Theophile erhob jedoch Einwendungen; Vater habe die kirchlichen
Gebräuche nicht geübt, er solle sogar früher fortschrittliche
Gedanken gehegt haben, denn er habe Voltaire gelesen; es sei das
beste, davon abzustehen, solange man ihn nicht fragen könne. Er
fügte sogar in der Hitze des entstandenen Wortstreites hinzu:
Es ist gerade so, wie wenn ihr diesem Möbelstücke die letzte
Ölung reichen wolltet.
Die drei Frauen hießen ihn schweigen. Sie waren tief gerührt und
gaben dem Priester Recht; sie entschuldigten sich, daß sie in der
Bestürzung über das plötzliche Hereinbrechen des Unglücks vergessen
hätten, ihn zu schicken; hätte Herr Vabre sprechen können, würde er
sicherlich eingewilligt haben; denn er liebte es nicht, Aufsehen zu
machen. Übrigens nahmen die Damen alles auf sich.
Man muß es schon wegen der Nachbarschaft tun, sagte
Clotilde.
Freilich, stimmte der Abbé Mauduit lebhaft zu; ein Mann in einer
Stellung wie Ihr Herr Vater muß ein gutes Beispiel geben.
August enthielt sich jeder Meinung. Duverdy hingegen,
herausgerissen aus seiner Erinnerung an Clarisse, die er sich eben
dachte, wie sie ihre Strümpfe – einen Schenkel in der Luft –
anzuziehen pflegt, verlangte mit Ungestüm die Darreichung der
Sterbesakramente. Er wollte es durchaus; kein Glied seiner Familie
sei je ohne solche gestorben.
Der Doktor Juillerat, der sich aus Höflichkeit zurückgezogen
hatte, ohne seine geringschätzende Freidenkerei durchblicken zu
lassen, näherte sich dem Priester und sagte ihm leise und vertraulich wie einem Kollegen,
dem man bei ähnlichen Gelegenheiten schon oft begegnet ist:
Die Verrichtung ist dringend, Sie müssen sich beeilen.
Der Priester ging eilends weg. Er zeigte an, daß er mit dem
Abendmahle und der letzten Ölung zurückkommen werde, um für alle
Möglichkeiten gerüstet zu sein. Theophil brummte jedoch in seinem
Eigensinne vor sich hin:
Nun freilich, jetzt lassen sie die Sterbenden gegen ihren Willen
beichten.
Bald darauf trat jedoch ein aufregendes Ereignis ein. Als
Clotilde ihren Platz wieder eingenommen hatte, fand sie den
Sterbenden mit weit geöffneten Augen da liegen. Sie vermochte einen
leisen Aufschrei nicht zu unterdrücken; die Familie näherte sieh
ihm, und der Alte ließ seine Augen musternd über die Umstehenden
schweifen, langsam, ohne den Kopf zu bewegen. Der Doktor Juillerat
neigte sich betroffen über das Kopfende des Bettes, um diese,
äußerste Krise zu beobachten.
Wir sind es, Vater, erkennst du uns? fragte Clotilde.
Herr Vabre blickte sie fest an; dann bewegten sich seine Lippen,
brachten aber keinen Laut hervor. Alle drängten sich, um von ihm
das letzte Wort herauszubringen. Valerie, die ganz hinten stand und
sich auf die Fußspitzen stellen mußte, sagte mißmutig:
Ihr
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