Der häusliche Herd
erstickt ihn ja. Geht doch auf die Seite. Wenn er etwas
wünschte, könnte man's nicht hören.
Die anderen mußten also auf die Seite gehen. Die Augen des Herrn
Vabre schienen in der Tat im Zimmer nach etwas zu suchen.
Er wünscht sicherlich etwas, sagte Berta.
Hier steht Gustav, wiederholte Clotilde. Du siehst ihm, nicht
wahr? Er ist aus der Schule gekommen, dich zu umarmen. Umarme
deinen Großvater, mein Kind.
Da der Knabe erschrocken zurückwich, hielt
sie ihn mit einer Hand fest; sie erwartete, daß er ein Lächeln auf
das verzerrte Gesicht des Sterbenden locken werde. August und
Theophile folgten jedoch der Richtung seiner Blicke, und ersterer
erklärte, der Kranke habe auf den Tisch geschaut; er wolle gewiß
schreiben. Alle drängten sich heran. Man brachte den Tisch, holte
Papier, Tintenfaß und eine Feder. Man richtete ihn endlich auf und
stützte ihn mit drei Kissen. Der Doktor gestattete diese Dinge mit
einem einfachen Augenzwinkern.
Reicht ihm die Feder, sagte Clotilde, ohne Gustav von der Hand
zu lassen, den sie immer wieder vorschob.
Es trat ein feierlicher Augenblick ein. Dicht ums Bett gedrängt,
stand die Familie erwartungsvoll da. Herr Vabre, der niemanden mehr
erkannte, ließ die Feder fallen. Einen Augenblick ließ er seine
Blicke über den Tisch schweifen, auf dem das Eichenholzkästchen,
angefüllt mit Papierstreifen, stand. Dann sank er von den Kissen
nach vorn wie ein Lappen und streckte mit einer äußersten
Anstrengung den Arm aus, um mit zitternder Hand in seinen
Papierstreifen zu wühlen wie ein Kind, das in irgendeinem unsaubern
Gefäße fröhlich herumpatscht. Ein Freudenstrahl glitt über sein
sterbendes Antlitz: er wollte sprechen, vermochte aber nur eine
Silbe hervorzubringen, eine einzige Silbe, immer die nämliche; eine
jener Silben, in denen die Kleinen eine ganze Welt von Empfindungen
ausdrücken.
Ga … ga … ga … ga …
Der Arbeit seines ganzen Lebens, dem großen, statistischen Werke
sagte er ein letztes Lebewohl. Plötzlich fiel sein Haupt zurück. Er
war tot.
Ich war darauf gefaßt, sagte der Doktor zu der bestürzten
Familie, indem er den Toten ausstreckte und ihm die Augen
schloß.
War es möglich? August trug den Tisch weg,
und jetzt standen alle stumm und wie erstarrt da. Doch bald brachen
sie in ein Schluchzen aus. Mein Gott, da nichts mehr zu hoffen ist,
wird man schon an die Aufteilung des Vermögens schreiten müssen.
Clotilde sandte Gustav fort, um ihm den schmerzlichen Anblick zu
ersparen, und weinte dann ganz erschöpft still für sich hin, den
Kopf an Bertas Schulter gelehnt, die gleich Valerie ebenfalls
schluchzte.
August und Theophile standen am Fenster und rieben sieh fest die
Augen. Duverdy zeigte eine ganz außerordentliche Verzweiflung und
erstickte ein krampfhaftes Schluchzen in seinem Taschentuche. Nein,
er könne ohne Clarisse nicht leben – dachte er sich dabei – lieber
wolle er sterben, wie jener Greis dort. Der Kummer um die verlorene
Geliebte, der gerade mit dieser Familientrauer zusammenfiel,
erfüllte ihn mit unendlicher Bitternis.
Gnädige Frau, meldete Clémence, der Priester mit dem Sakrament
der letzten Ölung ist da.
Auf der Schwelle erschien der Abbé Mauduit. Hinter ihm tauchte
der neugierige Kopf eines Chorknaben auf.
Der Priester sah die schluchzende Familie und befragte mit einem
Bücke den Arzt, der die Arme öffnete, wie um anzudeuten, daß es
nicht seine Schuld sei. Dann entfernte sich der Abbé, nachdem er
einige Gebete gemurmelt hatte, mit verlegener Miene, das
Allerheiligste wieder mitnehmend.
Das ist ein böses Vorzeichen, sagte Clémence zu den übrigen
Dienstleuten, die vor der Türe des Vorzimmers versammelt standen.
Man darf das Allerheiligste nicht vergebens behelligen. Ihr werdet
sehen: bevor ein Jahr um ist, wird es wieder im Hause
erscheinen.
Das Leichenbegängnis des Herrn Vabre fand erst drei Tage später
statt. Duverdy hatte in die Anzeige die Worte eingefügt »Versehen
mit den Tröstungen der Kirche«. Das Warenlager des Herrn August Vabre blieb geschlossen,
so daß Octave frei war. Dieser kurze Urlaub freute ihn, denn er
hegte seit langer Zeit den Wunsch, sein Zimmer neu einzurichten,
die Möbel umzustellen, seine wenigen Bücher in einem Schrank
aufzustellen, den er gelegenheitlich gekauft hatte.
Am Tage der Beerdigung stand er früher auf als sonst und war
gegen acht Uhr mit dem Ordnen fertig, als Marie an seine Türe
pochte. Sie brachte ihm ein Paket Bücher.
Da Sie sie nicht abholen
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