Der häusliche Herd
einer armen Verwandten, die zur Rolle einer
Dienstmagd herabgesunken; sie brachte für Rosa den Kaffee. Sie half
ihr sich erheben, stützte sie mit den Kissen und reichte ihr das
Frühstück auf einer kleinen, mit einer Serviette bedeckten
Platte.
Rosa in ihrem gestickten Jäckchen, umgeben von spitzenbesetzter
Bettwäsche, aß mit gesundem Appetit. Sie war ganz frisch, verjüngt,
sehr hübsch mit ihrer weißen Haut und ihren gekräuselten blonden
Löckchen.
Der Magen ist gesund, wiederholte sie, die gerösteten Brötchen
eintunkend.
Dabei fielen zwei schwere Tränen in ihren Kaffee. Da zankte
Gasparine aus.
Wenn du weinst, werde ich Achilles rufen. Wirst du nicht
königlich gepflegt?
Als Frau Campardon ihr Frühstück beendet hatte und sich mit
Octave wieder allein befand, schien sie getröstet. Aus Koketterie
begann sie wieder vom Tode zu sprechen, aber mit der freundlichen
Heiterkeit einer Frau, die in ihrem warmen Bett in den hellen Tag
hinein faulenzt.
Mein Gott! sie werde auch abfahren, wenn ihre Zeit gekommen sei;
aber sie hätten im Grunde recht; sie sei nicht unglücklich; sie
könne ruhig leben, da sie ihr alle Mühseligkeiten der Existenz
ersparten. So versenkte sie sich immer tiefer in ihre Selbstsucht
eines geschlechtslosen Götzenbildes.
Als der junge Mann sich erhob, um fortzugehen, sagte sie:
Sie werden öfter kommen, nicht wahr? Unterhalten Sie sich gut;
betrüben Sie sich bei dem Leichenbegängnis nicht allzusehr. Man
stirbt alle Tage ein klein wenig und muß sich daran gewöhnen.
Bei Frau Juzeur kam im nämlichen Stockwerk
die kleine Luise, um Octave die Türe zu öffnen. Sie führte ihn in
den Salon, betrachtete ihn einen Augenblick mit ihrem blöden
Lächeln und sagte dann, daß ihre Gebieterin soeben ihre Toilette
beendige. Jetzt erschien auch Frau Juzeur selbst, schwarz
gekleidet, zarter und sanfter denn je in ihrem Trauerkostüm.
Ich wußte, daß Sie heute kommen würden, sagte sie mit tiefer
Niedergeschlagenheit. Die ganze Nacht sah ich Sie im Traume. Mit
diesem Toten im Hause ist es (unmöglich zu schlafen.
Sie gestand, daß sie dreimal aufgestanden sei, um unter die
Betten und Möbel zu schauen.
Sie hätten mich rufen sollen! rief der junge Mann in seiner
Keckheit. Zu zweien in einem Bette hat man nie Furcht.
Sie nahm eine reizend schamhafte Miene an und sagte:
Schweigen Sie! Das ist abscheulich!
Dann legte sie ihm die flache Hand auf den Mund; natürlich mußte
er diese Hand küssen. Sie tat die Finger auseinander und lachte,
als ob man sie kitzele. Gereizt durch dieses Spiel versuchte er,
die Sache weiter zu treiben.
Lassen Sie hören: warum wollen Sie nicht?
O, heute ganz und gar nicht!
Warum heute nicht?
Mit diesem Toten da unten … Nein, das wäre mir
unmöglich.
Er faßte sie um den Leib.
Also, wann denn? Morgen?
Niemals.
Sie sind doch frei. Ihr Gatte hat sieh so schlecht betragen, daß
Sie ihm keine Rücksicht schuldig sind …
Er drang mit Gewalt auf sie ein. Sie glitt sehr
schmiegsam auf das Sofa; dann schloß sie
selbst ihn in ihre Arme, und indem sie ihn verhinderte, eine
Bewegung zu machen, flüsterte sie ihm mit ihrer kosenden Stimme
zu:
Alles was Sie wollen, nur das nicht! … Verstehen Sie: Das
niemals! Lieber sterben … Das ist so ein Gedanke von
mir … Ich habe es verschworen; Sie müssen ja nicht wissen,
weshalb? Sind Sie auch so roh wie die anderen Männer, die niemals
befriedigt sind, solange man ihnen etwas verweigert? Und doch liebe
ich Sie. Alles, was Sie wollen, nur das nicht, mein Geliebter!
Sie gab sich ihm hin, gestattete ihm die stürmischesten und
geheimsten Liebkosungen und drängte ihn mit einer kräftigen
Bewegung nur dann zurück, wenn er den einzigen verbotenen Akt
versuchen wollte. In ihrer Weigerung lag ein gewisser jesuitischer
Vorbehalt, die Furcht vor dem Beichtstuhl, die Gewißheit, für die
kleinen Sünden Verzeihung zu erlangen, während die große Sünde ihr
Verdrießlichkeiten mit dem Beichtvater verursachen würde. Dann
spielten auch noch andere, uneingestandene Gefühle mit hinein: die
Ehre und die Achtung ihrer selbst in diesem einen Punkte; die
Koketterie, die Männer immer am Gängelbande zu führen, indem sie
diese niemals vollends befriedigte. Kein einziger Liebhaber konnte
sich rühmen, sie besessen zu haben, seitdem ihr Gatte sie in feiger
Weise verlassen. Und sie war eine ehrbare Frau!
Nein, mein Herr, kein einziger! Ich kann erhobenen Hauptes
einhergehen. Wieviele unglückliche Frauen würden in
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