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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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gerufen. Dort übergab er ihr eine Rechnung,
die man in ihrer Abwesenheit gebracht hatte: 72 Franken für
gestickte Strümpfe.
    Sie erbleichte und rief:
    Mein Gott; hat August das gesehen?
    Er beruhigte sie und erzählte ihr, wieviele Mühe er hatte, die
Rechnung vor den Augen des Gatten verschwinden zu lassen. Dann fügte er verlegen und halblaut
hinzu:
    Ich habe die Rechnung bezahlt.
    Sie suchte in den Taschen, fand nichts und sagte endlich:
    Ich werde Ihnen das Geld zurückgeben… Wie dankbar bin ich Ihnen,
Herr Octave! … Ich müßte sterben, wenn August das gesehen
hätte.
    Diesmal ergriff sie seine beiden Hände und preßte sie einen
Augenblick in den ihren. Von den 72 Franken aber war nie mehr die
Rede.
    Ein immer steigendes Verlangen nach Freiheit und Vergnügen
machte sich bei ihr geltend; ein Verlangen nach allem, was sie sich
in ihrer Mädchenzeit von der Ehe versprochen hatte, nach allem, was
ihre Mutter sie von dem Manne fordern gelehrt hatte. Sie brachte
gleichsam einen Rückstand von unbefriedigtem Hunger mit in die Ehe.
Sie rächte sich für die an Entbehrungen so reiche Jugend, die sie
bei den Eltern verbracht hatte: für das ohne Fett zubereitete
schlechte Fleisch, mit dem man sich begnügte, damit man sich Schuhe
kaufen könne; für die immer wieder mühselig zusammengestoppelten
Toiletten; für den erlogenen Reichtum, dessen Schein nur durch
geheimes Elend, durch geheimen Schmutz aufrechterhalten werden
konnte. Vor allem aber entschädigte sie sich für die drei Winter,
die sie, mit ihren Ballschuhen im Straßenschmutze von Paris watend,
auf der Suche nach einem Mann zugebracht hatte: tödlich langweilige
Abende, an denen sie mit leerem Magen Sirup schlürfte und den
Frondienst eines züchtig lächelnden Betragens in Gesellschaft
schwachsinniger junger Männer ertragen mußte; die geheime Wut
darüber, daß sie tun müsse, als wisse sie nichts, während sie doch
alles wußte. Dann die Heimwege bei Regenwetter zu Fuße; dann das
Frösteln in dem eisig kalten Bette, die mütterlichen Maulschellen, die ihr die Wangen glühen machten. Noch
mit 22 Jahren verzweifelte sie daran, ans Ziel zu gelangen;
gedemütigt wie eine Bucklige betrachtete sie sich jeden Abend, wenn
sie entkleidet war, ob ihr auch nichts fehle.
    Endlich hatte sie einen Mann; und gleichwie der Jäger mit einem
wütenden Faustschlag dem Hasen den Garaus macht, dessen Verfolgung
ihm den Atem geraubt, war auch sie ohne Milde gegen August: sie
behandelte ihn einfach als Besiegten.
    So wuchs allmählich der Unfriede zwischen ihnen trotz der
Anstrengungen des Gatten, der die Ruhe seines Lebens nicht gestört
sehen wollte. Er verteidigte verzweifelt seinen schläfrig ruhigen
Winkel, drückte die Augen zu über die leichten Fehler, ließ sich
sogar schwere gefallen in der ewigen Furcht, eine Scheußlichkeit zu
entdecken, die ihn außer sich bringen würde. Die Lügen Bertas, die
eine Menge kleiner Gegenstände, deren Anschaffung sie sonst nicht
hätte erklären können, als Geschenke ihrer Mutter und ihrer
Schwester bezeichnete, fanden bei ihm Glauben und Nachsicht; er
ließ sich allgemach sogar ihre abendlichen Ausgänge gefallen,
wodurch es Octave zweimal gelang, sie in Gesellschaft ihrer Mutter
und ihrer Schwester ins Theater zu führen. Es waren dies reizende
Partien, nach denen die Damen stets einstimmig erklärten, daß der
junge Mann zu leben wisse.
    Bisher hatte Berta bei dem geringsten Wortwechsel ihrem Manne
ihre Ehrbarkeit vorgehalten. Sie führe sich gut auf, er müsse sich
daher glücklich schätzen. Für sie wie für ihre Mutter durfte der
Gatte erst dann sich beklagen, wenn er die Frau mit einem fremden
Mann ertappte. Inmitten der mannigfachen Vergnügungen, in denen sie
ihre unbefriedigten Wünsche aus der Mädchenzeit stillte, kostete ihr diese Ehrbarkeit kein großes
Opfer. Sie war von kühlem Wesen, von einer Selbstsucht, die sich
gegen die Scherereien der Leidenschaft auflehnte, zog es vor, für
sich allein die Freuden zu genießen – die Tugend aber hatte mit
alldem nichts zu schaffen. Sie fühlte sich geschmeichelt durch die
Liebeswerbung Octaves nach ihren Mißerfolgen als heiratslustiges
Mädchen, das sich von den Männern verlassen glaubte und zog auch
allerlei kleine Vorteile daraus, die sie in Ruhe genoß, nachdem sie
in einem wütenden Verlangen nach Geld aufgewachsen war. Einmal ließ
sie den Angestellten eine fünfstündige Droschkenfahrt für sich
bezahlen; ein andermal entlieh sie im Begriffe auszugehen

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