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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Kapitel der Mietsparteien bringen. Hinter den Türen muß
es erbauliche Dinge geben, meinte er. Jetzt trat Herr Gourd mit
seinem Ernste dazwischen.
    Es gibt Dinge, die uns angehen, und Dinge, die uns nichts
angehen, Herr Mouret! sagte er. Ein solcher Anblick zum Beispiel
bringt mich aus dem Häuschen.
    Er zeigte in die Toreinfahrt, in welcher soeben die
Schuhstepperin, die während des Leichenbegängnisses des Herrn Vabre
ihren Einzug ins Haus gehalten hatte, sich fortbewegte. Sie ging
sehr mühsam und schob einen enormen Bauch vor sich her, der durch
die Magerkeit ihres Halses und ihrer Beine noch mehr
hervortrat.
    Nun, was denn? fragte Octave.
    Sehen Sie denn nicht? Dieser Bauch! dieser Bauch!
    Dieser Bauch setzte Herrn Gourd in Verzweiflung: der Bauch einer
unverheirateten Weibsperson, die ihn, man weiß nicht woher sich
holte; denn sie war ganz platt, als sie kam. Sonst hätte man sie
nicht ins Haus genommen. Und ihr Bauch ist ungeheuer angewachsen
gegen alle üblichen Maße.
    Sie begreifen, mein Herr, wie sehr wir uns ärgerten, ich und der
Hausbesitzer, als wir das entdeckten. Sie hätte uns verständigen
sollen, nicht wahr? Man schleicht sich nicht ein, wenn man
»dergleichen« unter der Haut hat. Anfangs sah man fast nichts; ich
schwieg, denn ich hoffte, sie werde alles aufbieten, die Geschichte
zu verbergen. Aber nein; das wuchs zusehends und machte reißende
Fortschritte. Sie bemüht sich ganz und gar nicht, den Bauch zu
verhüllen; im Gegenteil: sie macht Staat damit; und heute – heute
kann sie kaum mehr zur Tür hinaus.
    Er wies noch immer mit tragischer Gebärde nach ihr, wie sie sich
mühselig zur Dienstbotentreppe schleppte. Es war ihm, als werde ihr
Bauch einen Schatten werfen auf die kühle
Sauberkeit des Hofes, auf den falschen Marmor und die vergoldete
Zinkverzierung des Treppenhauses. Die ganze Ehrbarkeit des Hauses
schien darunter zu leiden.
    Auf Ehre! Wenn das so fortgeht, werden wir es vorziehen, uns
nach Mort-la-Ville in unser Haus zurückzuziehen; nicht wahr, Frau?
Denn, Gott sei Dank, wir haben ja zu leben; wir brauchen niemandes
Tod abzuwarten. Ein Haus wie das unsere – in Verruf gebracht durch
einen solchen Bauch!
    Sie sieht leidend aus, bemerkte Octave, indem er ihr mit den
Blicken folgte.. Sie ist immer so traurig, so bleich, so
verlassen … Ohne Zweifel hat sie einen Geliebten.
    Herr Gourd fuhr bei diesen Worten auf.
    Das ist es! Hörst du, Frau? Auch Herr Mouret ist der Ansicht,
daß sie einen Geliebten hat. Das ist klar. Solche Dinge kommen
nicht von selbst. Nun denn, mein Herr! Seit zwei Monaten spähe ich
ihr nach, und ich habe nicht den Schatten eines Mannes entdecken
können! Wenn ich ihn fände, wie würde ich ihn hinauswerfen! Aber
ich finde ihn nicht; das kränkt mich!
    Vielleicht kommt niemand zu ihr, bemerkte Octave.
    Der Hausmeister sah ihn überrascht an.
    Das wäre unnatürlich! Ich werde aufpassen und ihn erwischen! Ich
habe noch sechs Wochen Zeit, denn ich habe für Ende Oktober
gekündigt. Das fehlt uns noch, daß sie hier niederkomme! Und,
wissen Sie, Herr Duverdy mag sich lang gut entsetzen und verlangen,
daß sie es auswärts tue – ich kann nicht mehr ruhig Schafen, denn
sie kann uns einen schönen Streich spielen, nicht bis dahin zu
warten… Ohne diesen alten Geizhals Vabre wäre alldies nicht
gewesen. Er tat es, um 130 Franken mehr Miete einzunehmen, und
trotz meiner Ratschläge! Der Schreiner hätte ihm eine Lehre sein
sollen! Aber nein,er mußte noch eine
Schuhstepperin ins Haus nehmen! Das hat er von diesem schmutzigen
Arbeitervolk!
    Er wies noch immer nach dem Bauche der Weibsperson, die langsam
auf der Dienstbotentreppe verschwand. Frau Gourd mußte ihn
beschwichtigen. Er nehme sich die Anständigkeit des Hauses
allzusehr zu Herzen und werde sich dadurch noch krank machen.
    Da die Mutter Péru in diesem Augenblick wagte, ihre Anwesenheit
durch ein Hüsteln kundzutun, fiel er wieder über sie her und zog
ihr rundweg den Sou ab, den sie für ihre Viertelstunde
beanspruchte. Als sie endlich mit ihren zwölf Franken sechzig
Centimes sich entfernte, rief er ihr nach, daß er bereit sei, sie
wieder zu nehmen, aber nur zu drei Sous die Stunde. Sie weinte und
nahm den Antrag an.
    Ich finde Leute genug! schrie er. Ihr seid nicht mehr stark
genug und arbeitet kaum für zwei Sous die Stunde.
    Octave verließ sie endlich beruhigt. Er wollte noch einen
Augenblick in sein Zimmer hinaufgehen und begegnete im dritten
Stockwerke der Frau Juzeur, die eben heimkehrte.

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