Der häusliche Herd
sich zuzog.
Sie errötete. Mit dem armen Saturnin habe es keine Gefahr,
meinte sie; er leide ja schon, wenn man ihm zufällig die Hand
berühre. Auch der arme Narr scheine verletzt. Er verliebt –
niemals, niemals! Wenn jemand wagen wolle, seiner Schwester eine
solche Lüge zu hinterbringen, werde es mit
ihm zu tun haben. Octave, überrascht von dieser plötzlichen
Erregtheit Saturnins, suchte diesen zu beruhigen.
Inzwischen stahl sich Berta auf die Dienstbotentreppe. Sie hatte
zwei Stockwerke hinabzusteigen. Schon auf der ersten Stufe ward sie
durch ein helles Gelächter angehalten, das aus der Küche der Frau
Juzeur kam; zitternd drückte sie sich an das weit geöffnete Fenster
des Treppenabsatzes, das auf den Lichthof ging.
Es war wieder das schmutzige Morgengeträtsche der Mägde, welche
die kleine Luise beschuldigten, daß sie den anderen durch das
Schlüsselloch nachspähe, wenn sie zu Bett gingen. Eine
fünfzehnjährige Rotznase! Luise aber lachte und lachte immer
stärker. Sie leugnete nicht; sie kannte den Hintern Adelens, den
mußte man sehen! Lisa sei sehr mager, Victoire habe einen Bauch so
rissig wie eine alte Tonne. Um sie still zu machen, fielen wieder
alle mit abscheulichen Reden über sie her. Verdrossen darüber, daß
eine vor der andern gleichsam entkleidet wurde, und von dem
Bedürfnis getrieben, sich zu verteidigen, rächten sie sich an ihren
Herrinnen, indem sie auch diese entkleideten. War Lisa mager, so
war sie es doch nicht in dem Maße wie die andere Frau Campardon,
eine wahre Haifischhaut, ein Festessen für einen Architekten;
Victoire begnügte sich, allen Damen der Familien Vabre, Duverdy und
Josserand einen so wohl erhaltenen Bauch, wie der ihre war, wenn
sie einmal ihr Alter erreicht haben würden, zu wünschen; Adele
wollte ihren Hintern nicht für jenen der Töchter ihrer Herrin
hergeben, die ja soviel wie gar nichts hatten!
Berta, die unbeweglich und entsetzt dastand, empfing diesen
Abhub der Küchen ins Gesicht ohne eine Ahnung von diesem Ausguß,
zum erstenmal die schmutzige Wäsche der
Dienerschaft überrumpelnd zu einer Stunde, da die Herrenleute
schlafen. Plötzlich rief eine Stimme:
Der Herr verlangt sein warmes Wasser!
Man hörte Fenster und Türen zuschlagen; es entstand ein kurzes
Stillschweigen. Berta wagte nicht, sich zu rühren. Als sie sich
endlich entschloß hinabzugehen, fiel ihr ein, daß Rachel vielleicht
in der Küche sei, um ihr aufzupassen. Neue Angst: sie fürchtete
hinabzugehen und hätte es vorgezogen, auf die Straße zu gelangen,
um zu fliehen – weit, weit, für immer. Sie stieß die Türe auf und
sah zu ihrer Freude, daß die Küche leer war. Überglücklich eilte
sie in ihr Zimmer.
Die Magd stand vor dem unberührten Bett ihrer Herrin. Sie
betrachtete das Bett und betrachtete dann stumm die junge Frau. Im
ersten Schrecken verlor Berta den Kopf; sie stammelte etwas von
einem Unwohlsein ihrer Schwester; dann begriff sie die Kläglichkeit
ihrer Ausflucht und brach in Tränen aus. Sie sank auf einen Sessel
und weinte – und weinte.
Das dauerte so eine Minute. Es ward kein Wort gewechselt, nur
das Schluchzen Bertas störte die Stille des Zimmers. Rachel, ihre
Verschwiegenheit übertreibend, behielt ihre kühne Miene eines
Mädchens, das alles weiß, aber nichts merken läßt; sie hatte ihrer
Herrin den Rücken gekehrt und machte sich mit den Kissen zu
schaffen, als ob sie das Bett in Ordnung bringe. Als endlich die
junge Frau, über dieses Stillschweigen immer mehr bestürzt, eine
gar zu geräuschvolle Verzweiflung zeigte, sagte die Magd, damit
beschäftigt, die Möbel abzustäuben, in einfachem, achtungsvollem
Tone:
Die Gnädige tut sehr unrecht, sich allzusehr zu grämen, der Herr
ist ja nicht so gütig.
Berta hörte auf zu weinen. Sie mußte das Mädchen
bestechen. Sie gab ihr sogleich 20
Franken; dann fand sie es zu wenig, weil sie gesehen zu haben
glaubte, daß die Magd verächtlich die Lippen verzog; sie eilte ihr
daher in die Küche nach, führte sie in das Zimmer zurück und
schenkte ihr eines ihrer Kleider, das noch fast ganz neu war.
Zur nämlichen Zeit war auch Octave in großer Angst wegen des
Herrn Gourd. Als der junge Mann aus der Pichonschen Wohnung kam,
traf er den Hausmeister genau an der Stelle wie gestern damit
beschäftigt, hinter der Türe der Dienstbotentreppe zu lauern. Er
folgte ihm und wagte nicht, ein Wort an ihn zu richten.
Der Hausmeister stieg mit vieler Würde die Haupttreppe hinab.
Ein Stockwerk tiefer zog er
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